Botswana, Inbegriff der afrikanischen Wildnis. Sofort denke ich an das Okavango-Delta, eine weite flache Landschaft, die von den jährlichen Regenfällen dermaßen geflutet wird, dass man sie nur noch mit dem Kanu besuchen kann. Herden großer Tiere, wohlgenährt durch grün schimmernde Pflanzen und unerschöpfliche Wassermassen, bewegen sich über die wenigen verbleibenden Inseln. Es ist ein Safari-Mekka, aber eines der besonderen Art, das weltweit unvergleichlich ist. Einer dieser Orte, die man unbedingt besucht haben muss, bevor man stirbt.
Trotz seiner überschaubaren 2,3 Millionen Einwohner ist Botswana ziemlich groß: Mit 580.000 Quadratkilometern etwa 1,6 mal so groß wie Deutschland. Es ist fast durchgehend flach und war geologisch betrachtet lange Zeit eine weite Landschaft permanenter Seen. Das Land ist absolut flach geblieben, aber inzwischen weitgehend ausgetrocknet. Große Teile sind eher Wüste und trockenes Buschveld, so auch die berühmte Kalahari. Wenn es aber im Sommer regnet, dann hat das Wasser kein Wohin, es verweilt, verteilt sich, flutet weite Teile des Nordens und formt ein Delta.
Wir, das sind Karl, seine Schwester Elly und ich. Wir kennen uns von einem gemeinsamen Kurs zum Safariguiding aus Südafrika und sind damit erwiesenermaßen vorgebildet und natursüchtig. Zu dritt fliegen wir von Johannesburg in den Norden Botswanas nach Maun, dem Sprungbrett ins Delta. Nach der Landung entspannen wir in der idyllischen Drifters Lodge direkt an einem Fluss und starten früh am nächsten Tag ins Delta.
Das Okavango-Delta
Am Wasser angekommen, wechseln wir in ein Mekoro, das ist eine Art Kanu, das aus Holz geschnitzt ist. Gefahren werden wir vom sogenannten Poler (“Stocker”), der hinten auf dem Boot steht und nicht per Ruder fortpaddelt, sondern à la Venedig mit einem langen Stab vom Boden abstößt. Tief ist das Wasser nicht, aber weit. Er ist ein Einheimischer namens Embi, der seit vielen Jahren hier lebt, fährt und fischt.
In Stille treiben wir durch das Wasser, zwischen Schilf und Seerosen. Wie der Mann durch dieses Labyrinth navigiert, ist mir ein Rätsel. Schon bald zeigt er uns lustige kleine Frösche, die aussehen wir angepinselt mit roten und weißen Flecken – sie halten sich an den Gräsern fest, um weder von den Fischen noch den Wasservögeln gefressen zu werden.
Schon bald erblicken wir einen wunderschönen kleinen Vogel, den Malechite Kingfisher (Haubenzwergfischer): Kleiner als meine Hand, schimmert er mit einem leuchtenden Königsblau im Sonnenlicht, verweilt scheinbar federleicht sitzend auf Grashalmen und beobachtet das Wasser, bis er wieder helikopterartig hinausfliegt und mit seinem langen Schnabel kleine Fische aus dem Delta pickt.
Wir entkommen dem Schilf und finden uns am Rande eines großen, offenen Beckens. Embi weist uns zu absoluter Stille an und zeigt auf eine Gruppe großer dunkler Flecken in der Mitte des Beckens: Hippos! Nilpferde. Wir überqueren das Becken zum anderen Ufer und treiben langsam und umsichtig in ihre Richtung. Nicht etwa, um uns zu verstecken – sie haben uns ohnehin längst bemerkt – sondern, damit sie uns nicht als Bedrohung wahrnehmen. Nilpferde gelten (nach der Malariamücke) als das “tödlichste Tier Afrikas”. Sie sind zwar Vegetarier und im Grunde friedlich, können aber Boote umwerfen, wenn diese ihnen zu nah auf die Pelle rücken. Vorsicht ist also angebracht – insbesondere, da in dieser Herde auch kleine Babynilpferde dabei sind. Die Herde bleibt zwar ruhig, einige machen uns aber durch lautes Röhren klar, wer der Boss ist.
Vom Land aus sieht man etliche Schneisen und Wege, die sogenannten Hippo Highways, die Nilpferde nutzen, wenn sie nachts zum Grasfressen aus dem Wasser kommen und zum Teil viele Kilometer aufs Land wandern. Auch hier muss man als Mensch sehr vorsichtig sein, sich bloß nicht zwischen einem Nilpferd und seinem Fluchtweg zurück ins Wasser zu befinden – ein Nilpferd in Panik kann mit einer Tonne Gewicht und einer beachtlichen Geschwindigkeit von zehn Metern pro Sekunde (!) jedes Hindernis aus dem Weg räumen.
In diesem Fall bleibt es bei Gesten: Mama öffnet ihr Maul weit, ragt sich vertikal aus dem Wasser und zeigt uns ihre riesigen Zähne. Derartige Schauspiele lassen sich auch oft zwischen Nilpferd-Männchen beobachten, so dass gar kein Konflikt mehr nötig ist, sobald die Größenverhältnisse geklärt sind. Wir haben verstanden 🙂
So schön das Okavango-Delta im Norden auch ist, so gibt es in Botswana noch viel mehr. Unser Tourguide Chronier von Drifters kommt aus Südafrika und hat für viele Jahre in der Kalahari als Ranger und später als sogenannter Overland Guide gearbeitet. Er kennt sich blendend aus hier im schönen Botswana und hat sichtlich Spaß daran, mit uns wilde Orte zu erforschen und Tiere zu finden. Außerdem kocht er uns köstliche Mahlzeiten, erzählt uns spannende Landesgeschichten zu allem – von den Gezeiten bis zur Politik – und ist einfach ein prima Kerl.
Nxai Pans
Für die Fahrt in die Nxai Pans steigen wir in einen umgebauten Toyota Landcruiser – bekannt dafür, dass man damit überall hinreisen kann: Erdlöcher, Wüste, Matsch, hüfthohes Wasser, komme was wolle. Dies ist allerdings kein Urlaub in der Fünf-Sterne Lodge, wir werden durchgehend campen. Zu diesem Zweck ist das Fahrzeug mit dicken Zelten, Stühlen und einer Kühlbox ausgestattet.
Auch hier in den Nxai Pans haben die Regenfälle ihre Spur hinterlassen: Das Gras ist hochgewachsen und etliche der Sandstraßen durch das Gebiet stehen so tief unter Wasser, dass sogar der Landcruiser stecken bleiben würde. Geschickt navigiert uns Chronier am Rande der trockenen Gebiete entlang, wie am Strand von Inseln im See. Wir sehen Raubvögel wie den Pale Chanting Goshawk, einen grauen Falken mit roten Beinen, der sich von Reptilien und Schlangen ernährt. Herden von Zebras sind mit ihren Jungen unterwegs, die aussehen wie bemalte Ponies mit überdimensionalen Helmen römischer Legionäre. Am Wasserloch sehen wir eine Herde von Elefanten, die sich quietschvergnügt mit Wasser bespritzen und baden.
Ziemlich verdutzt schauen wir, als irgendwann das Wasser aufhört, genauso die Bäume oder die Gräser, und wir plötzlich am Rand einer Wüste stehen. Hier wächst gar nichts. Woher kommt das ganze Salz? Naja, es war früher mal ein See, doch nur das Salz am Boden ist übrig geblieben.
Baobab Beach
Am nächsten Morgen fahren wir zu einem ganz besonderen Ort: Baobab Beach. Schon von weitem erkennen wir die Umrisse von vier riesigen Bäumen. Mit ihren breiten Stämmen, ihren verschlungenen Ästen und ihrer verwunschenen Erscheinung sind sie unverkennbar: Uralte Baobabs, die hier schon seit Jahrhunderten stehen. Ein afrikanischer Mythos besagt, dass in der Schöpfung der Lebewesen einst eine Gottheit der Hyänen so sauer war, dass sie den Baobab einfach umgedreht hat, so dass seitdem seine Wurzeln nach oben zeigen.
Und was für einen Ort sie sich ausgesucht haben: Genau am Rande zwischen dichter gräserner Vegetation und einem Meer aus Salz dekorieren sie eine Art Strand. Bequem trage ich unser Frühstück in meinem Tatonka-Rucksack bis an den Rand des Salzes, das wir mit dem Fahrzeug nicht mehr erreichen können, und wir machen ein Picknick. In der Ferne sehen wir Flamingos, die im seichten Wasser nach Algen fischen. Dieser Ort ist unbeschreiblich, und wir sind tatsächlich auch noch alleine hier.
Tarnfarben
Unser Guide Chronier schreckt auf: Mitten auf der Teerstraße hat er ein Chamäleon entdeckt, das zögerlich zuckt, als wir vorbeifahren. Es hat sich perfekt auf das Grau des Asphalts getarnt und ist nur schwer auszumachen. Wir drehen alsbald um und tun uns daran, das schöne Geschöpf von der Straße zu bugsieren, bevor ein anderer Autofahrer ohne Chroniers Argusaugen es noch überfährt. Hier in Botswana gelten Chamäleons als verwunschene Tiere, die Unheil bringen können. Wir fürchten daher auch wegen der umliegenden Dörfer um das Wohlergehen unseres kleinen Freundes und entscheiden uns – unkonventionell – ihn ins Fahrzeug zu setzen und ein paar Kilometer mitzunehmen, bis wir ein sicheres Örtchen für ihn finden. Das gefällt ihm gar nicht – er versucht zu beißen, klettert in der Fahrzeugkabine fluchtartig nach oben und erreicht dabei den höchsten Punkt des Innenraums: den Rückspiegel.
Hier klammert er sich verbissen fest und – während er mit einem Auge sicherstellt, dass wir ihm nicht auf die Pelle rücken – muss er mit dem anderen mit ansehen, wie die Welt durch die Windschutzscheibe plötzlich mit 40 km/h an ihm vorbeizieht. Er ist deutlich gestresst und wird ganz blass. Er, und wir, sind heilfroh, als wir ab vom Dorf ein paar Bäume finden und ihn freisetzen können. Er klettert hoch und ändert seine Farbe in Tarnung in Grün. Kein Wunder, dass Chamäleons so schwer zu finden sind.
Die Katzen von Savuti, Chobe Nationalpark
Chobe ist bekannt für seine Raubtiere. Es soll hier nur so schwärmen von Löwen und Leoparden. Sogar wilde Hunde sind hier keine Seltenheit. Mit hohen Erwartungen kommen wir an. Alle sperren wir unsere Augen auf, soweit es geht, suchen Löwen im Gras, Leoparden in den Bäumen und hetzen schon fast verzweifelt durch das Revier. Nicht, dass wir hier, ob einer unaufmerksamen Sekunde, das Sighting unseres Lebens verpassen … aber so sehr wir uns anstrengen und so schön die Umgebung auch ist – uns läuft partout nichts über den Weg.
Umso überraschter bin ich daher, nachts im Zelt in meinen Schlafsack gerollt, das Gebrüll von Löwen zu hören. Es ist laut, es ist häufig, und es sind eindeutig mehrere Tiere. Es klingt eher wie etwas Instinktives, Rauhes als wie eine Stimme. Als wären die Löwen in Rage und würden aufgebracht durch ein Megafon ausatmen. Das geht die ganze Nacht und klingt nah, vielleicht ein, zwei Kilometer weg.
Physisch geschlaucht, aber mental aufgeweckt erwarten wir den Sonnenaufgang. Mit den ersten Sonnenstrahlen schleichen wir uns aus unseren Zelten ins Auto und fahren erlebnishungrig los.
Wir fahren über alle vorhandenen Straßen und bewegen uns in Ellipsen um unseren Campingplatz. Wo zum Teufel sind sie denn, die Löwen? Das kann doch nicht sein. Auf der sandigen Straße sehen wir die Fußspuren von einem großen Männchen: recht frisch, wahrscheinlich keine zwei Stunden alt. Doch sie zeigen in die falsche Richtung. Da waren wir gerade. Und plötzlich sehen wir ein zweites Paar Fußspuren, es zeigt in Fahrtrichtung. Aber die Spuren sind kleiner und mit kürzerem Intervall zwischen den Schritten. Das ist kein Löwe, das ist ein junger Leopard! Wem von beiden wollt ihr folgen? fragt Chronier ins Fahrzeug. “Leopard” rufen wir unisono.
Leoparden sind noch um einiges schwieriger zu finden als Löwen. Sie agieren im Verborgenen, pirschen sich in absoluter Stille an ihre Beute, verweilen auf Bäumen und sind mit ihrem Rosettenmuster nahezu perfekt getarnt, außerdem sind sie fast nur nachts aktiv. Entsprechend aufregend und aufreibend ist die Suche. Ich schneide mit meinen Blicken förmlich durch das lange Gras und scanne jeden Baum. Doch auch diese Suche scheint vergeblich, bis wir ein anderes Fahrzeug sehen, darin drei Männer, ausgerüstet wie eine Filmcrew, einer winkt uns zu uns zeigt ein paar Meter vor sein Fahrzeug, die Augen weit geöffnet. Wir halten und schauen rüber, Ferngläser hoch. Oh Gott, da ist er tatsächlich. Ein Leopard kniet nur wenige Meter vor ihrem Fahrzeug. Er ist wach und aktiv.
Ein junges Männchen, noch relativ klein, aber bereits alleine unterwegs. Seine braunen Augen starren nach oben und er setzt zum Sprung an. Mit einem Satz ist er bereits zwei Meter im Baum und klettert mühelos weitere drei Meter hoch. Wow! Er hält sich mit drei Beinen fest im Baum, und gräbt mit der vierten Pranke in einem Astloch, bis er plötzlich etwas rauszieht. Es ist ein Vogel, ein Küken, wehrlos. Der Leopard reißt es heraus und springt herab, wo er das Küken gemütlich verspeist. Es war eine Barn Owl … sagt Chronier, sowas hat noch nicht mal er gesehen. Die Mahlzeit ist noch nicht beendet, als wir ein lautes Kreischen hören. Der Leopard – bislang vertieft in sein Frühstück – schaut sofort auf, springt erneut in den Baum und macht sich daran, ein zweites Küken aus dem Astloch zu fischen.
In blanker Verzweiflung fliegt die Mutter der Küken einen Angriff und versucht ihn mit ihren Krallen zu kratzen. Doch es ist vergeblich. Er verspeist auch das zweite Küken und legt sich kurz hin.
Wir fahren zwei Meter vorwärts, um ihn im Auge zu behalten. Sogar nun, obgleich wir seinen Aufenthaltsort auf 3 x 3 Meter eingekreist wissen, ist er nur schwer auszumachen, so perfekt ist seine Tarnung. Nach der Mahlzeit steht er auf und schleicht voran, keine fünf Meter weiter ist er verschwunden, wird verschluckt von einem Meer aus hohem gelbem Gras.
Es ist schon eine Seltenheit, überhaupt eine Western Barn Owl zu sehen, und dazu noch mit Jungen – aber eine solche Jagdszene zu beobachten, die sich just in diesem Moment vor unseren Augen abspielt, das ist außergewöhnlich. Das ist Botswana.
Sundowner
Und so sind wir keineswegs unglücklich, auch wenn wir die Löwen nie gefunden haben. Abends trinken wir unseren sogenannten Sundowner. Das Untergehen der Sonne genießt man im Busch traditionell mit einem schönen Aussichtspunkt und einem GinTonic. Ein anderes Fahrzeug taucht auf, darin sind ein paar junge Leute, die etwas bedröhnt wirken, neben uns anhalten und, auf unsere Nachfrage zu den Löwenspuren, in suspekt ruhiger Tonlage sagen: “Löwen? Ach ja, die paaren sich dort hinten im Flussbett.” “Waaas? Wirklich jetzt? “Joa.” Wir werfen unsere Getränke ins Auto und fahren los. Der Ort ist keine 500 Meter von uns entfernt und auch keine 500 Meter von unserem Zelt. Wahrhaftig! Dort sind sie. Ein großer Löwe mit goldblonder Mähne, schön, mächtig, mit einem kräftigen Körper liegt er da, tiefentspannt neben einer Löwin. Ein paar Minuten später steht die Löwin auf, betascht ihn leicht und geht verführerisch einige Schritte von ihm weg. Er springt auf, besteigt sie und für rund 10 Sekunden leben sich die beiden aus.
Schlagartig erkennen wir die Geräuschkulisse wieder, die uns die halbe Nacht wach gehalten hat. Ja, es war ein untypisches Gebrüll, und es waren mehrere Löwen. Er ist fertig und zieht sich zurück. Sie verzerrt die Miene vor Schmerz, haut ihm eine Pranke ins Gesicht, und nach ein wenig Gefauche beruhigen sich beide und legen sich erneut hin. Wir erfahren, dass dieses Liebesspiel sich circa alle 20 Minuten wiederholt … und bis zu vier Tage dauern kann.
Es wird dunkel … und wir beschließen, die beiden in Frieden zu lassen. Voller Genugtuung über den tollen Tag fahren wir zu unseren Zelten. Heute wird gegrillt und angestoßen auf die tollen Momente von Savuti – hat der Chobe Park doch gehalten, was er verspricht.
Besuche der besonderen Art
Und trotz der großen Freude macht sich bald Erschöpfung breit, einen jeden zieht es in sein Zelt. Die Nächte sind kalt geworden, selbst hier in Botswana, das sonst eher für seine überhöhten Temperaturen bekannt ist. Alle Zeltfenster verschlossen, rolle ich mich tief in meinen Schlafsack. Doch mitten in der Nacht wache ich auf. Eigentlich nichts Neues, haben wir doch immer wieder das Geheule großer Tiere gehört. Doch heute ist es anders. Es ist kein Gefauche, es ist Bewegung. Und es ist näher, viel näher als sonst. Irgendetwas macht sich an unserem Fahrzeug zu schaffen. Ein Löwe? Hyänen?
Ich wünsche mir inständig, es möge einfach wieder gehen. Doch es hört nicht auf, und irgendwann wird auch mein Zeltnachbar Karl wach. Was ist das? Ich richte mich im Schlafsack auf, ziehe den Reißverschluss der Zelttür ein wenig hoch und schaue auf das Fahrzeug. Es ist Vollmond. Hmm. Da ist nichts. Oder? Und dann sehe ich plötzlich da zwei Umrisse. Vor dem Fahrzeug. Sie stehen ganz still. Ich kann es nicht fassen: “Wild dogs” sage ich, aber sie regen sich nicht. “Nachts?” fragt Karl, “komisch!”
Ich halte die Taschenlampe drauf und sogleich verwandeln sich die Geschöpfe in zwei Gebüsche – ooh, wohl doch nicht. Aber das Geschepper geht weiter. Karl und ich schauen uns an – wollen wir raus? Er nickt. Wir ziehen uns an und schleichen uns aus dem Zelt, jeder eine Taschenlampe in der Hand. Ich gehe um das offene Fahrzeug und sehe auf der Rückbank die Kühltruhe sperrangelweit auf! Karl kommt von der anderen Seite. Da ist ein Geschöpf auf der Rückbank und frisst uns die Kühltruhe leer. Ein Honigdachs! Oh Mann.
Das ist ein großer Dachs, der sich sonst von Insekten, Reptilien und Vogeleiern ernährt. Dickes, weißes Fell mit schwarzem Mantel. Honigdachse sind ja eigentlich gern gesehen, aber sie haben da einen gewissen Ruf. Sie gelten als absolut furchtlos und können sehr aggressiv werden, wenn sie sich bedroht fühlen. Sie kämpfen auch mit viel größeren Tieren, oft, indem sie ihnen zwischen die Beine springen und zubeißen. Sie haben scharfe Zähne und Krallen. Selbst von Löwen und Leoparden sind sie gefürchtet. Der typische Biss in den Hals zum Abschnüren der Luft, das funktioniert nicht, denn Honigdachse können sich innerhalb ihrer Haut soweit bewegen, dass sie sich selbst im Würgegriff umdrehen und zurückbeißen können.
Einst verließ Chronier das Fahrzeug, um einen Honigdachs zu fotografieren, bis dieser sich umdrehte und ihn verfolgte. Auch die Flucht ins Auto half nicht. Der Dachs versuchte sogar, die Autoreifen aufzubeißen.
Unser kleiner Nachtdieb zeigt sich von dem Licht unserer Taschenlampe irritiert. Er hüpft aus dem Fahrzeug und läuft ein Stück weg. Ich greife schon einen Campingstuhl, falls er es sich anders überlegt. Dann wendet er und geht erneut um das Camp … wir sind völlig beruhigt, bis er eine Schleife dreht und zurückzukommen scheint. Letztendlich verschwindet er doch. Gott sei Dank. Schadensbericht: Die Salami hat er sich vorgeknöpft, einen Salatkopf aus dem Weg geräumt und die Butter leergeleckt. Da sind wir nochmal mit einem blauen Auge davongekommen.
Symphonie
Belustigt erzählen wir am nächsten Morgen die Geschichte unseren Kameraden und treten dann die Rückfahrt an. Anscheinend haben wir morgens eine Gruppe von 16 Löwen verpasst, die sich am Wasserloch getränkt haben. Verdammt, keine Spur von ihnen.
Da ist sie wieder, meine alte Erzfeindin: FOMO – “Fear of missing out”. So tolle Dinge ich auch erlebe, stets bestürzt mich die Angst, ich könnte etwas noch Besseres verpassen. Statt zeitig die stundenlange Rückfahrt anzutreten, fahren wir in großer Runde sämtliche Wasserlöcher ab. An einem großen Becken kommen wir nicht weiter, laufen doch gerade mehrere Elefanten über die Straße zum Wasserloch. Tierstau, da kann man nichts machen.
Wir halten und stellen den Motor ab. Sie marschieren an den Wasserrand und stillen ihren Durst. Interessanterweise können Elefanten mit dem Rüssel zwar ein beachtliches Volumen Wasser aufsaugen, es aber nicht direkt durch diese “Nase” trinken. Stattdessen pusten sie es sich aus dem Rüssel in den Mund. Diese Elefanten waren wohl nur eine Fraktion einer viel größeren Herde. Von allen Seiten ziehen weitere Gruppen heran und laufen nur Meter entfernt an unserem offenen Fahrzeug vorbei, in allen Größen und Altersstufen. 23 Stück umgeben uns, völlig entspannt.
Keiner von uns macht einen Mucks, während die Elefanten lautstark Wasser schlürfen. Vergnügt stoßen sie ein intensives, warmes Rummeln aus. Das ist eine Abfolge sehr tiefer Töne, die bis in die sogenannten Infrafrequenzen gehen kann und – teils vom menschlichen Ohr nicht mehr erfassbar – den Elefanten kilometerweite Kommunikation ermöglicht. Wir sitzen mittendrin, als wären sie ein Orchester. Die Symphonie ist wunderschön. Bestimmt 20 Minuten verharren wir einfach nur in ihrer Mitte, wir fühlen uns geborgen hier und vergessen die Zeit.
Doch eine lange Fahrt liegt noch vor uns, und irgendwann brechen wir schweren Herzens auf. Chronier fährt uns im Landcruiser zurück nach Maun – über versandete Straßen, über endlose Bodenwellen aus Salz, durch das hohe Gras und das niedrige. Ist Botswana genauso, wie ich es mir vorgestellt habe? Nein, überhaupt nicht – aber ich kann es nur genauso schön, wild und wahrhaftig beschreiben, wie ich es vorher gelesen hatte. Wow.