Wir erzählen dir davon, wie es ist, gleichzeitig zwei weit voneinander entfernte Orten mit allen Sinnen zu erleben, sich auch in schwierigen Zeiten an kleinen Dingen zu erfreuen und sich die Vorfreude auf neue Abenteuer zu bewahren … Komm, und begleite uns!
Endlich zieht die lang ersehnte Regenfront über Pattaya hinweg, begeistert wie kleine Kinder sitzen wir mit Gyroscope und Kamera bewaffnet auf unserem kleinen Balkon und bewundern das Wirken der Naturkräfte. Seit Tagen hatte sich das aufziehende Unwetter mit Donnergrollen und tiefhängenden Wolkenfronten im Inland angekündigt, nun entlud es seine Wassermassen über der Küstenstadt und wusch die Straßen rein, die schon seit Wochen keinen Tropfen Regenwasser gesehen hatten.
Und auch wir begrüßten das Naturspektakel in einer ähnlichen Weise wie der trockene Boden, der in diesem Moment gierig das kostbare Gut in sich aufnahm, denn ebenso wie den Pflanzen im thailändischen Süden fehlte auch uns, gefangen in den Großstadtschluchten, schon seit einigen Wochen etwas Essentielles. Etwas, das wir zuvor immer für so selbstverständlich gehalten hatten. Die Nähe zur Natur war uns abhandengekommen.
Keine vier Wochen war es her, da erkundeten wir noch jeden Tag auf eigene Faust und nur mit Taucherbrille und Schnorchel im Gepäck die kleinen Riffe, die um Koh Rong Samloem in Kambodscha verteilt liegen. Stundenlang waren wir zu Fuß oder im Wasser unterwegs, immer umgeben von uns unbekannten Bäumen, Sträuchern und Tieren. Immer etwas Neues, etwas Unbekanntes, alles war spannend. Etwas mehr als vier Monate reisten wir schon von Ort zu Ort durch Südostasien, mit Bus und Bahn im stetigen Fluss, bis auch uns das neuartige Coronavirus die Türe vor der Nase schloss.
Zufluchtsort Pattaya …
Eine Heimreise war keine Option, schließlich hatten wir für diese Reise den meisten materiellen Besitz hinter uns gelassen. Es gab schlichtweg kein „Zuhause“ mehr, zu dem man hätte zurückkehren können. Auch die verlockende Option, das Virus auf einer kleinen Insel auszusitzen, schoben wir ganz rational beiseite, zu gefährdet waren sowohl die angemessene medizinische Versorgung vor Ort, als auch die Einheimischen durch unsere Anwesenheit. Durch Neugierde und schlichte räumliche Nähe wurde Pattaya in Thailand unser Zufluchtsort, wir waren noch nie zuvor dort gewesen. Wir lernten uns an den kleinen Dingen zu erfreuen: den ausgedehnten Spaziergängen am Strand und den unzähligen Tieren, die durch das Ausbleiben der Touristen nun vermehrt die Nähe der Menschen suchten, getrieben von ihren leeren Mägen.
Tauben saßen in Heerscharen am Strand, hatten die Touristengruppen abgelöst, und auch die Eichhörnchen verloren zunehmend ihre Scheu und ließen sich aus der Hand füttern. Den ganzen Tag über erklang durchgehend das einsame, aber bekannte Lied des Indischen Koel, eines großen schwarzen Kukucksvogels, und in den Abendstunden konnte man immer wieder den Rufen der Tokeh-Geckos und Zikaden lauschen, die nun erst ihrem Tagwerk nachgingen.
Und auch wir waren eigentlich gut beschäftigt, in der Hektik und im Rausch der vergangenen Wochen hatten wir unseren Blog für alle Daheimgebliebenen nur mäßig gepflegt, und darüber hinaus war nun endlich Zeit, einmal die durchgeschwitzten Rucksäcke einer ordentlichen Reinigung zu unterziehen, da wir den Luxus einer großen Badewanne in unserem Apartment genossen. Und während ich so den Dreck des langen Reiseweges aus den Fasern schrubbte, reiste ich in Gedanken zurück zu unserer ersten langen Wanderung, auf der wir meinen Rucksack eingeweiht hatten …
… und plötzlich in den Dolomiten
Ich öffnete im Halbdunkeln die Augen, ein lautes Tosen hatte mich aus meinen Träumen gerissen. Mein ganzer Rücken schmerzte, als ich mich bewegte, kein Wunder, die billige Isomatte hatte die Nacht nicht überlebt, und vermutlich hatte ich schon seit Stunden auf dem blanken Boden gelegen. Aber was war das für ein Geräusch? Schlaftrunken konnte ich die Lärmquelle in keinen Kontext bringen. Und wo war ich überhaupt? Erstmal aufstehen und einen Überblick über die Lage bekommen, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging, und während ich mich zügig aufrichtete, wurde mein Gedankenstrom gleich wieder gestoppt. BAMM! Ich hatte den Schädel mit voller Wucht gegen die Kofferraumabdeckung des Autos gestoßen, in dem ich soeben wach geworden war. Wundervoll, jetzt schmerzte also auch noch der Kopf … aber immerhin war ich nun wach, und nach und nach setzte mein Hirn die einzelnen Teile zusammen.
Freude überlagerte den Schmerz, als ich den Verursacher der ungewöhnlichen Lautstärke aus dem Fenster erblickte: Im Frühnebel bahnte sich ein wilder Bergbach lautstark seinen Weg zu Tal. Die Berggipfel, die in der Morgensonne leuchteten, ließen meinen Herzschlag kurz aussetzen. Der Anblick war einfach atemberaubend, und der bescheidene Start in den Tag mit einem Mal vergessen. Ich erinnerte mich unvermittelt an die lange Fahrt von Pag in Kroatien hin zu den Dolomiten in Italien, die wir am vorigen Tag hinter uns gebracht hatten. Im Idealfall eine Strecke von rund fünfhundert Kilometern und sieben bis acht Stunden Fahrt, aber natürlich war die Fahrt nicht ideal gewesen, nicht einmal annähernd.
Anreise mit Hindernissen
Die meiste Zeit hatte es so stark geregnet, dass man kaum zehn Meter weit gucken konnte auf der Autobahn und dann hatte uns bei unserer Einfahrt in Triest der Automat keinen Mautschein ausgestellt, und wir mussten herausfinden, wie wir die saftige Strafe abwenden konnten, die uns nun drohte. Viel zu spät am Abend waren wir also in Trentino-Südtirol angekommen und die Suche nach einem Zeltplatz war vergebens, so blieb uns nur das Auto als Übernachtungsmöglichkeit. Nach kurzer Suche hatten wir eben diesen abgelegenen Parkplatz direkt neben einem großen Bergbach gefunden. Nach so einem Tag war es natürlich kaum verwunderlich, dass der Nachtschlaf so tief ist, dass man am nächsten Morgen nicht mehr weiß, wer oder wo man ist. Aber als Kevin nun auch langsam wach wurde und sich neben mir aufsetzte, um den Ausblick zu genießen, wusste ich, dass die lange Anreise es wert gewesen war.
Abgesehen davon, dass die Drei Zinnen schon immer ein Traumziel von uns waren, hatten wir uns vorrangig auf den Weg hierhin gemacht, um unsere Reiseausrüstung für unsere bevorstehende Weltreise einem Härtetest zu unterziehen. Wir wollten nicht unterwegs erst unser Zelt zum ersten Mal aufschlagen oder uns überraschen lassen von der Wärme, die uns die Schlafsäcke bieten konnten, und auch die neuen Rucksäcke, darunter der Tatonka Yukon, sollten sich nicht erst nach drei Monaten Reise als passend oder unpassend erweisen.
Aber vermutlich hätte uns die Szenerie im Nachhinein über alles hinweggetröstet. Die Bergketten, die uns nun umgaben, waren sogar noch schöner als alle Fotografien, die wir uns vor der Reise monatelang auf dem Smartphone als Motivation hin und her geschickt hatten. Es gibt doch kaum ein schöneres Gefühl, als endlich an einem Ort angekommen zu sein, zu dem man sich zuvor so viele Male nur hingeträumt hat.
Eine wunderbare Unterkunft
In Misurina angekommen, wollten wir sofort auf den Berg, wir hatten es schon den Tag zuvor an einem anderen Ort versucht, Richtung Paternkofel vorzudringen, und waren kläglich gescheitert. Mit dem Ziel vor Augen mussten wir umkehren, ich konnte einfach auf halber Strecke nicht mehr. Doch unsere kleine Wanderung fand ein jähes Ende, denn bevor wir überhaupt Richtung Berg losmarschieren konnten, fanden wir quasi um die Ecke den Campingplatz unserer Träume! Umgeben von hohen Berggipfeln, kaum andere Camper und eine kleine Herde Esel, der wir bei der Verrichtung ihres Tagwerks zuschauen konnten. Also schmissen wir die Tagesplanung über den Haufen und bauten uns erst einmal unser Basecamp auf, das zu seiner Premiere eine überzeugende Figur abgab. Den Rest des Tages ging‘s nur schnell zum Dorfladen, um die Vorräte aufzustocken, und dann genossen wir den Anblick der Berge in der Glut der untergehenden Sonne bei dampfenden Nudeln in Tomatensauce und mit einem kühlen Bier in der Hand. Das Leben ist schön.
Mit schwerem Rucksack rund um die Drei Zinnen
Die Wanderung des nächsten Tages wird wohl für immer einen besonderen Platz in meinem Herzen bekommen. Obwohl es außer Frage steht, dass jeder Tag unvergleichlich schön ist, der mit einem blauen Himmel und sonnenbestrahlten Berggipfeln beginnt. In aller Frühe machten wir uns auf, um den Pfad um die Tre Cime di Lavaredo zu erwandern. Wir hatten einen ordentlichen Aufstieg vor uns, aber das Adrenalin und die Vorfreude übertönten jeden Anflug von Müdigkeit. Der Rucksack war gut gefüllt, um zumindest annähernd die Belastung der kommenden Monate zu simulieren, aber schon alleine die Drohne und unsere Wasservorräte für den Aufstieg sorgten für eine ordentliche Belastung.
Als professionelle Bergsteiger können wir uns wirklich nicht bezeichnen, wären wir es doch gerne, aber die Entfernung unseres Wohnortes zu höheren Gebirgsmassiven ist recht groß, und wir waren dementsprechend ungeübt. Geübte Wanderer sind wir dennoch, sind immer an der frischen Luft und auf den Beinen, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, was für eine Bereicherung Wanderstöcke bei einer Gebirgswanderung sein können, und da nur Kevin in diesem Gesichtspunkt gut vorbereitet war, wechselten wir uns ab mit dem Rucksack und den Wanderstöcken, bis wir unser Ziel erreicht hatten.
Unterwegs begegneten wir immer wieder kleineren und größeren Herden von Kühen, deren Kälber uns erstaunt und interessiert betrachteten und uns dabei hin und wieder den Weg versperrten und die Weiterreise erschwerten. Andere Wanderer grüßten wir je nach Herkunft mit einem fröhlichen „Servus!“ oder „Ciao!“ und einem tapferen Lächeln im verschwitzten Gesicht. Doch da waren wir nun, nassgeschwitzt, aber durch die Kälte der Höhe trotzdem in Daunenjacken gehüllt, und bewunderten die drei Gipfel, die sich senkrecht vor uns in die Höhe erstreckten.
Unglaublich, die Vorstellung, dass einige passionierte Bergsteiger auch diese riesigen Gipfel bezwungen hatten, die glatten Felswände schienen kaum Halt bieten zu können für Aufsteigende. Aber wenn man etwas mit Leidenschaft tut, dann kennt die menschliche Kraft beizeiten kaum Einschränkungen. Was soll man sagen, bis jetzt haben wir auch immer alles irgendwie geschafft, was wir uns in den Kopf gesetzt haben.
Bereit für neue Abenteuer
Dieser Gedanke holt mich in die Realität zurück. Erstaunt stelle ich fest, dass ich eine Wäschebürste in der Hand halte und nicht mehr die Wanderstöcke. Der Rucksack liegt nass zu meinen Füßen und nicht mehr schwer auf meinem Rücken. Und anstelle der Sextner Dolomiten blinzele ich in die morgendliche Sonne im Süden von Thailand. „Möchtest du einen Tee?“, fragt mich Kevin erneut, sichtlich erstaunt über meine lange Leitung. Ich nicke und lächele: „Klar, gerne! Tut mir Leid, mir sind die Gedanken abgeschweift.“ Und als er fortgeht, um warmes Wasser aufzusetzen denke ich darüber nach, wie froh ich bin, dass man dem Geiste keine Ausgangssperre erteilen kann, und dass wir Menschen die Möglichkeit dazu haben, uns in die Ferne zu träumen, wenn das Herz danach verlangt.
Zwar sind wir vielleicht die nächsten Monate auf diesen kleinen Raum beschränkt, aber dafür können wir uns umso mehr auf die Zeit freuen, in der wir wieder frei durch die Welt reisen können. Manchmal ist es nämlich gar nicht so schlimm, wenn man plötzlich mit Grenzen konfrontiert wird, die einem zuvor nicht bewusst waren. So lernt man zu schätzen, was man ansonsten für so selbstverständlich gehalten hat. Vorfreudig hänge ich den sauberen Rucksack zum Trocknen auf den Balkon, dieser ist jetzt nämlich wieder bereit für die Abenteuer und Erfahrungen, die in der Zukunft noch vor uns liegen. Und ich bin es auch.