Wer hätte gedacht, dass das Ende der Welt so wunderschön ist?
Und wer hätte gedacht, dass am Ende der Welt kugelrunde Wombats durch ein gelbes Blütenmeer toben?
Ich nicht. Jedenfalls nicht, was die Wombats und das Blütenmeer angeht. Und doch stehe ich gerade genau hier: auf dem Spielplatz einer Wombat-Großfamilie, so kommt es mir vor.
Die kleinen Beuteltiere tollen vor mir über den Hang, fetzen an mir vorbei, schneller, als ich es ihnen zugetraut hätte. Neben mir rupfen sie die Halme aus dem Boden, die von der letzten Regenzeit übrig geblieben sind, und stopfen ihre Backen damit voll.
Die Wombats sind überall auf dieser kleinen Landzunge, die ein paar Meter weiter in einen Teppich aus knallgelben Blumen übergeht – und dann schließlich in das unwirkliche Türkis des Meers.
Der tasmanische Ozean hat in dieser kleinen Bucht eine Farbe angenommen, für die ich mich kneifen muss. Überhaupt fällt es mir schwer, meinen Augen zu trauen. Stattdessen ertappe ich mich dabei, wie ich ein Blatt zwischen meinen Fingern zwirbeln oder Sand durch meine Hände rinnen will.
Irgendein Beweis muss her. Ein Beweis dafür, dass die Luftmatratze längst wieder zusammengerollt, das Zelt im Packsack und der Rucksack auf meinem Rücken ist.
Ein Beweis, dass ich nicht mehr träume.
Dass ich wirklich hier stehe – nicht nur zwischen all den Wombats und unwirklichen Farben, sondern ganz grundsätzlich an Ort und Stelle, am wunderschönen Ende der Welt. Auf dieser kleinen, wilden Insel im Ozean vor Australien.
Weiter im Süden kommt erst gar nichts mehr, dann beginnt das Packeis vor der Antarktis. Von Deutschland aus könnte ich weiter nicht weg sein. Rein geografisch, aber auch, was mein Gefühl angeht.
Die Geschichte, wie wir am Ende der Welt gelandet sind
Man sagt, Tasmanien sei die wilde Provinz Australiens. Eine Art Blick zurück, ein bewahrtes Geheimnis aus der Vergangenheit. Eine Schatzinsel.
Hat man das australische Festland verlassen und die Bass-Straße überquert, fühlt es sich an, als würde man in einer vergangenen Welt ankommen.
Tasmanien ist mit Abstand der kleinste Bundesstaat Australiens, gerade einmal so groß wie Bayern. Es gibt nur 500.000 Einwohner, dafür fünf große Nationalparks, die 40 Prozent der Fläche Tasmaniens abdecken.
Die Berge schieben sich wie bedrohliche Zacken in den Himmel, eine Art Vorwarnung für Wanderer, sich auf raue und immer unterschiedliche Bedingungen einzustellen. Ein Tag umfasst nicht selten alle vier Jahreszeiten, je höher wir unterwegs sind, desto stärker bekommen wir die zu spüren: Im Bergland schneit oder regnet es an 340 Tagen im Jahr.
Eine komplette Wanderung unter blauem Himmel? Ein wahrer Glückstreffer.
»Klingt doch gut, oder?« fragte Felix mit einem breiten Grinsen im Gesicht, nachdem er mir ziemlich genau so einen Abstecher nach Tasmanien schmackhaft machen wollte.
Ich aber – ich war längst überzeugt. Allein die Idee, über eine Insel zwischen Australien und der Antarktis (ganz grob gesagt) zu laufen, hat mich in weniger als einem Wimpernschlag begeistert.
Und – was soll ich sagen? Diese Begeisterung hält an, ich habe mich schnell verliebt.
Drei Wochen lang sind wir abgetaucht in diese Landschaft voller Gegensätze. Waren ganz für uns in dichten Wäldern an der Westküste wandern, die in endlose Strände übergehen, sobald mehr Salz als Sauerstoff in der Luft scheint. Sind steile Hänge und weglose Bergflanken entlang balanciert und auf Gipfeln gestanden, die in den schönsten Panoramen all diese Gegensätze vereinen.
Tasmanien hat mich schnell mit allem versorgt, was ich am liebsten habe: warme, tropische Tage in wilden Regenwäldern. Das hellblauste Wasser, das ich je gesehen habe, weiße Strände, endlose Sanddünen. Aber auch Schneegestöber, raues Bergwetter und Frost am Morgen, während die Vögel zu den ersten Sonnenstrahlen zwitschern.
Genau dann, als wir uns so sicher waren, wilder und abgeschiedener könnte es nicht mehr werden, hat uns Felix alter Freund Matt, der seit Jahren schon in Tasmanien zuhause ist, seinen Geheimtipp verraten:
eine kleine Insel vor der Ostküste. Das Ende der Welt.
Zweimal die Woche legt eine Fähre an dem kleinen Steg der Insel an. Die Wanderer werden quasi ausgesetzt und haben erst Tage später wieder die Möglichkeit, auf die Hauptinsel, in die Zivilisation, zurückzukehren.
Später haben wir der Insel den Namen Arche-Noah verpasst
Auf dieser Fähre stand ich schneller, als ich schauen konnte.
Mit beiden Händen hielt ich Felix und meinen Rucksack im röhrenden Sturm an Deck, – wobei Felix großer Yukon 70+10 die Rolle vertauscht hat. Wahrscheinlich hielt er mich wie ein Anker auf dem Schiff, während ich mich verkrampft an ihm festhielt.
Wie das später mit unserem Zelt funktionieren sollte?
Das konnte ich mir gerade beim besten Willen nicht ausmalen. Aber wenn ich in den vergangenen drei Wochen eine Sache über Tasmanien gelernt hatte, dann die: Dass es immer allen Grund zur Hoffnung gab, denn das Wetter konnte genauso schnell besser wie schlechter werden.
Außerdem hat uns Tasmanien zuvor nie im Stich gelassen – und das sollte sich auch jetzt auf der Arche-Noah-Insel nicht ändern. Den Namen haben wir ihr im Nachhinein verpasst, aus guten Gründen. Dazu aber später mehr.
Wie die großen Entdecker am Ende der Welt
Der Steg, an dem die Fähre anlegte, hatte tatsächlich viel mit der Brücke zu einer Schatzinsel gemein. Es schien, als wäre die Welt hier in Ordnung. Nicht nur, weil der Wind zwar mit aller Kraft bis zum Ufer fegte, aber nicht weiter über die Insel.
Sondern auch, weil wir nur wenige Kilometer laufen mussten.
Und schon bin ich angekommen auf eben diesem Wombat-Spielplatz am Ende der Welt.
Nun stehe ich Mitten in dieser Szene aus einem Märchenfilm, in den Seiten eines knallbunten Kinderbuchs, oder in der Aufnahmen aus einer Dokumentation über ein längst vergangenes Zeitalter, in der die Welt noch im Gleichgewicht schien.
Der Himmel über der Insel ist jetzt ein blaugraues Mosaik aus gutem und weniger gutem Wetter. Typisch Tasmanien, eben.
Zwischen den Wombats läuft immer wieder Felix auf und ab – sein Grinsen hat jetzt völlig unkontrollierte Ausmaße angenommen, die nur in besonderen Momenten möglich sind.
Es riecht nach trockener Erde, nach frischen Blüten und dem Salz des Meeres. Schnell kann ich mir nichts anderes mehr vorstellen, als Zeit auf dieser Insel zu verbringen.
Vier Nächte werden wir bleiben – erst dann wird wieder eine Fähre an dem kleinen Steg anlegen.
In unseren Rucksäcken haben wir alles, was wir solange brauchen werden. Eine Art Überlebensausrüstung für ein Trekking über eine einsame Insel: Zelt, Isomatte, Schlafsäcke. Gaskocher samt Geschirr, Essen. Regenjacken. Wasser können wir an drei verschiedenen Tanks verteilt über die Insel nachfüllen.
Die Tanks fühlen sich fast an wie Störenfriede im Schlaraffenland. Könnte man sich zwischendurch für ein paar Momente fühlen wie die großen Entdecker aus vergangenen Zeiten, die die ersten Schritte auf einem neuen Stückchen Land setzen.
Wir laufen den ganzen Tag, bis wir unser Zelt abends an einem neuen Plätzchen aufschlagen – Meerblick ist ein Muss, die Wombats und Kängurus kommen dann ganz von alleine. Außer ihnen sehen wir niemanden. Sind ganz alleine am Ende der Welt.
Wir erkunden die gesamte Insel, jeden ihrer 20 Kilometer in der Länge und alle 13 in der Breite. In ihrer Mitte liegt ein dichter Regenwald, Eukalyptus reiht sich an Farn, dazwischen leben nicht nur unzählige Beuteltiere, sondern auch giftige Schlangen. Jeder Kilometer ist wie ein Spaziergang durch einen Wildpark. Oft müssen wir uns mit den Wanderstöcken vortasten, um zwischen Ästen und Wurzeln einen einigermaßen freien Blick auf den Boden haben zu können. Vor besonders überwachsenen Passagen stampfen wir mit den Wanderschuhen auf den Boden, um Schlagen rechtzeitig auf uns aufmerksam zu machen.
Zwischendurch gibt es immer wieder diese Momente, in denen passiert all das gleichzeitig. Dann kommt mein Herz vor Begeisterung fast nicht mehr hinterher. Wenn ich dann denke, schöner kann es nicht mehr werden, steht ein erschrockenes Känguru vor uns und legt den Kopf fragend zur Seite.
Dann scheint der Sonnenuntergang am Abend goldener als je zuvor, ein Wombat schleicht sich durch das strahlende Bild, der Sand am Strand schimmert Rosa und wir haben Sonnenschein zum Frühstück.
Das Geheimnis der Arche-Noah-Insel
Mit unserem Gefühl vom Schlaraffenland liegen wir übrigens richtig. Und sogar den Namen Arche-Noah haben wir der kleinen Insel zurecht verpasst. Das erzählt uns Matt, nachdem wir wieder zurück auf dem Festland sind:
Zum Arterhalt sind auf der Insel bedrohte Tierarten ausgesetzt worden – darunter Wombats und Wallabys, Kängurus, Tasmanische Teufel und verschiedene Schlangenarten. Zum ersten Mal haben Forscher den Versuch 1960 gestartet. Seither haben sich die Populationen auf der Insel gut entwickelt.
An unserem letzten Morgen auf der Arche-Noah-Insel aber wusste ich das noch nicht. Und so saß ich, wenige Stunden bevor wir am Steg die Fähre angelegt hat, vor unserem Zelt und war immer noch nicht ganz sicher: dass das alles nicht doch nur ein Traum gewesen ist.
Und dass am wunderschönen Ende der Welt wirklich Wombats über eine gelbe Blumenwiese tollen.
Trekking in Tasmanien – das musst du wissen
Anreise
Tasmanien liegt ungefähr 240 Kilometer südlich des australischen Festlands. Am einfachsten ist die Anreise per Flugzeug über die großen australischen Städte: von Melbourne, Sydney oder Perth fliegen täglich Flugzeuge nach Hobart oder Lanceston. Alternativ ist die Anreise per Fähre von Melbourne nach Lanceston möglich.
Anforderungen & Gefahren
Von kurzen Tagestouren bis hin zum Mehr-Tages-Trekking ist auf Tasmanien für alle Wandervorlieben das richtige dabei. In beliebten Regionen sind die Wanderwege meist gut markiert – dennoch kann schlechtes Wetter die Orientierung schnell erschweren. Grundkenntnisse zur Navigation in abgeschiedenem Gelände sind dann hilfreich, außerdem GPS und eine gute Wanderkarte. Besondere Vorsicht ist auch geboten, wenn es Flüsse zu durchqueren gilt. Die können bei starken Regenfällen schnell unpassierbar werden. Das kommt auch im Sommer vor.
Zur Trockenzeit können Buschbrände gefährlich werden, unbedingt die Warnungen vor Ort beachten.
Auf Tasmanien gibt es außerdem drei giftige Schlangenarten: Die Tiger Snake, Copperhead und White-Lipped Snake. Schlangen verschwinden meist, bevor wir sie zu Gesicht bekommen – dennoch ist es wichtig, den Fuß nur dort aufzusetzen, wo wir hinsehen können. Und im Zweifel die Trekkingstöcke zum Vortasten zu benutzen.
Ausrüstung
Feste Schuhe, Sonnenschutz für Kopf und Haut, Trekkingstöcke, GPS sowie Kartenmaterial, warme und regensichere Kleidung (auch im Sommer). Und natürlich alles, was wir für Wanderungen in wilden Regionen sonst mitnehmen.