In den Sommerferien 2017 machten wir unsere erste große, gemeinsame Trekkingtour als Familie in Südtirol – den Meraner Höhenweg. Wir übernachteten in Hütten, weil wir zu der Zeit noch nicht so viel tragen konnten. Unser Bruder Frederik war damals vier, ich, Valentina, gerade sieben geworden und ich, Karolina, war acht. Trotzdem waren unsere Trekkingrucksäcke, unsere Mowglis von Tatonka, randvoll beladen.
Zehn Tage Abenteuer!
Normalerweise geht man den Meraner Höhenweg in ungefähr einer Woche. Wir haben uns zehn Tage dafür Zeit gelassen. Unterwegs schauten uns die Leute manchmal komisch an und fragten, woher wir kämen und wohin wir wollten, und dann glaubten sie uns nicht, dass wir den ganzen Weg laufen wollten. So richtig überzeugt, dass wir das wirklich schaffen würden, waren unsere Eltern auch nicht, denn als wir eines Tages an einem Schild ankamen, auf dem stand, wie lange wir schon unterwegs waren und wie weit es noch ist, da waren sie ganz aus dem Häuschen und meinten, es könnte wirklich funktionieren, den Weg gemeinsam bis zum Ende zu gehen!
Wenn es doch mal sehr anstrengend wurde, machten wir Pause oder ließen uns Geschichten erzählen. Zum Beispiel von Reinhold Messer, den wir zwar leider nicht getroffen haben, aber oberhalb dessen Schlosses wir auf unserem Weg vorbeikamen. Die Geschichte von Günther Messners Schuh, den wir im Jahr zuvor im Museum angeschaut hatten, und die Sache mit den roten und grünen Raketen fanden wir besonders faszinierend.
Viele Tiere, ein großes Gewitter und eine Extra-Portion Nutella
Anfangs brauchten wir oft bis zum Abend, bis wir an unserer Unterkunft ankamen. Im Laufe der Zeit wurden wir aber immer schneller, und später waren wir sogar ein paar Mal schon am Vormittag an unserem Etappenziel angekommen.
Es gab überall Tiere, besonders Heuschrecken, weil die Heuernte gerade begonnen hatte, aber auch viele Katzen. Mit denen konnten wir dann am Abend immer spielen. Eine hieß Figaro, die wohnte am Gasthof Brunner, wo es auch eine alte Sägemühle gab. Figaro gefiel uns von allen Tieren am meisten. Wir wollten uns am nächsten Morgen gar nicht von ihm trennen.
Einmal übernachteten wir auf einem ganz alten Bauernhof, dem Untervernatschhof. Der Wirt meinte, die alte Stiege wäre lebensgefährlich, das Heustadl auch, die Dusche sowieso und der Hund könnte schon einmal zubeißen, wenn wir nicht aufpassen würden. Dann kam auch noch ein riesengroßes Gewitter. In unserem Zimmer war alles aus dunklem Holz und die Decke so tief, dass unsere Eltern nicht einmal gerade stehen konnten, und alles knarzte und quietschte. Das war richtig unheimlich und wir fürchteten uns ein bisschen, aber es war auch aufregend.
Am nächsten Morgen – wir hatten super in den kuschligen, dicken Decken geschlafen – gab uns die Oma, die auf dem alten Hof wohnte, eine extra Portion Nutella zum Frühstück, weil sie wusste, dass man ohne Nutella einfach nicht so gut wandern kann. Das hatten wir am Tag vorher am Pirchhof gemerkt, als es zum Frühstück keines gab.
Hinauf bis zum Eisjöchl
Unsere Eltern hatten die ganze Zeit Bedenken, vor der Etappe hinauf zur Stettiner Hütte. Das war unsere „Schlüsselstelle“, weil das die härteste Etappe des ganzen Weges ist. Dorthin ging es die ganze Zeit nur bergauf, fast bis auf 3.000 Meter, und es gab am Tag zuvor und auch danach keine Seilbahn. Wir hatten uns aber sowieso für den ganzen Weg vorgenommen, keine Seilbahn zu benutzen. Dafür bekamen wir bei jeder Gelegenheit ein Eis. Leider haben wir nur dreimal auf dem Weg die Gelegenheit dazu gefunden. Als die Oma die Zweifel mitbekam, meinte sie: “Wenn ihr es bis hierher geschafft habt, dann schafft ihr den Rest auch noch.“
Der Weg durchs Pfossental über den Eishof bis hinauf zur Stettiner Hütte war dann auch gar nicht schlimm. Im Gegenteil – es war wunderschön und abwechslungsreich mit vielen Wiesen, auf denen wir wahnsinnig viele kleine Frösche entdeckten, und Kühe gab es auch.
Während unseres Aufstiegs veränderte sich die Landschaft immer mehr, das Grün verschwand und alles wurde karg und grau. Wir kamen uns schließlich vor wie auf dem Mond. Irgendwann dachten wir wirklich, wir könnten nicht mehr weitergehen, weil sich der schmale Weg immer nur bergauf schlängelte. Ausgerechnet da hörten wir plötzlich Pfiffe. Wir rätselten lange, was das sein könnte und dachten an Murmeltiere, aber auf einmal sahen wir Steinböcke oben am Eisjöchl, dem höchsten Punkt der ganzen Tour. Da konnten wir sofort wieder ganz schnell weitergehen.
Eine eisige Nacht
Oben angekommen, stellten wir fest, dass die Stettiner Hütte gar nicht mehr da war, weil eine Lawine sie zerstört hatte. Stattdessen standen dort oben ein paar kleine grüne Zelte. Natürlich wollten wir lieber im Zelt schlafen als im Lager und das war richtig cool. Nachts war es zwar eisig kalt und es hagelte und schneite sogar. Da kamen die Wirtsleute und klopften den Schnee mit Besen von den Zelten, damit diese nicht kaputtgingen. Wir drei durften in der Mitte liegen und schliefen wunderbar. Obwohl – morgens war es schon sehr kalt und wir waren froh, um halb sechs in der Früh in die Hütte, oder besser gesagt, in das letzte Stückchen Hütte, das noch stand, gehen zu können, um uns dort mit einem Kakao aufzuwärmen.
Kraxeln wie die Steinböcke
Als die Sonne aufging, waren wir erholt und voller Tatendrang, sodass wir beschlossen, noch auf einen über 3.000 m hohen Berg zu steigen. Wir waren ja schon so weit oben! Die beiden riesigen Berge, die man schon am Tag zuvor gesehen hatte, die Hohe Weiße und die Hohe Wilde, waren zu gefährlich, aber der Hüttenwirt meinte: „Geht doch auf den Hausberg, der ist auch ein 3000er, und wenn ihr es bis hierher geschafft habt dann…“ – den Spruch kannten wir ja schon.
Wir ließen unsere Rucksäcke unten stehen und kraxelten so schnell auf den Berg, als wären wir selbst Steinböcke. Es war Wahnsinn. Nur wir alleine, ganz da oben mit einem Blick auf scheinbar unendlich viele Bergketten, sie sich aneinanderreihten, als ob man bis ans Ende der Welt sehen könnte.
Dann ging es auch schon wieder hinunter ins Pfelderer Tal, wo wir unsere Tour begonnen hatten. Wir hätten noch ewig weitergehen können. Auf dem Meraner Höhenweg erlebten wir so viel, dass wir das gar nicht alles aufschreiben können. Wir waren in der Tausend-Stufen- Schlucht und auf dem Hans-Frieden-Felsenweg, trafen ein Mädchen auf der Leiteralm, die unsere Freundin wurde, sprangen ganz viel Trampolin, verloren unsere einzige Haarbürste, buken Sandförmchen in einem Katzenklo, wuschen Wäsche in der Dusche und tranken den besten Melissensaft, den es gibt. Der stand kurz vor der Bergstation Hochmuth in einem Fässchen, zubereitet von einem Studenten, was uns vorkam wie eine Fata Morgana oder eine Oase oder beides zusammen.
Geburtstag auf dem Campingplatz
Am Ende unserer Tour fuhren wir noch auf einen Campingplatz mit einem kleinen Pool. Dort wurde ich, Karolina, 9 Jahre alt. Zum Geburtstag hätte ich eigentlich meinen neuen, großen Rucksack bekommen sollen, den ich aber schon vorher für die Tour bekommen hatte. Als Überraschung packten meine Eltern anstelle der Stinkewäsche Geschenke rein. Das war super, vor allem, weil ich nach der langen Tour gar nicht mehr wusste, wann genau mein Geburtstag war, und so war die Überraschung an dem Tag umso größer.
Weitere Impressionen von Karolinas, Valentinas und Frederiks Wanderabenteuer auf dem Meraner Höhenweg: