Die Füße im weißen Sand vergraben, sitze ich mit einer dampfenden Tasse Tee auf einem Baumstumpf am Strand. Das hellblaue Wasser plätschert leise ans Ufer, über mir kreisen ein paar Möwen. Und ich frage mich, was ich von dieser Wanderung eigentlich erwartet habe. Nicht viel, um ehrlich zu sein. Und dennoch etwas ganz anderes als das, was sich hier vor mir ausbreitet.
Einen weiten, weißen Strand wie diesen hier – den habe ich in Schweden zum Beispiel nicht unbedingt erwartet. Auch nicht, dass das Meer so klar ist, dass ich den Boden noch erkennen kann, selbst, wenn meine Knie schon im Wasser stehen. Dass die Küste an anderen Stellen so hügelig ist, dass ich beim Anstieg aus der Puste komme und später von hoch oben auf das Meer herabblicke kann – auch das habe ich nicht erwartet.
Ich bin sprachlos und überrascht von diesem Land, das sich immer mehr nach zu Hause anfühlt – und mich dennoch derart überrascht, dass ich schon in der ersten Nacht im Zelt vom Weiterwandern am nächsten Tag träume. Am übernächsten. Und über-übernächsten.
Wir werden im äußersten Süden Schwedens unterwegs sein. Auf dem Fernwanderweg der Region Skåne.
Der Skåneleden gehört mit einer Gesamtlänge von 1.300 Kilometern zu Schwedens längsten Wegen und bietet mit einer Vielzahl an Abstechern mehr als genug Möglichkeiten, einzelne Etappen genau so aneinanderzureihen, dass eine Tour entsteht, die perfekt zu den eigenen Wünschen passt. Unsere Route umfasst vier dieser Etappen mit einer Gesamtlänge von knapp 70 Kilometern.
Und wer nun denkt, auf 70 Kilometern würde sich in Schweden kaum etwas ändern – der war definitiv noch nicht zu Fuß zwischen all den bunten Feldern, den weißen Sandstränden, knallgrünen Buchenwäldern und Heidelandschaften in Österlen unterwegs.
Tag 1: Das Meer immer im Blick
Wahrscheinlich ist es gut, dass an Schwedens Westküste ein Sturm aufziehen soll. Wäre die Wettervorhersage nämlich besser ausgefallen, würde ich gerade nicht neben Felix an der Südküste entlang wandern. Und, das sag ich euch jetzt schon, nach den ersten Kilometern: was hätten wir dann verpasst!
Wahrscheinlich ist es auch gut, dass wir unsere Wanderpläne so spontan an die Umstände haben anpassen müssen: weil wir schlichtweg keine Zeit hatten, um große Erwartungen zu hegen. Um uns zu genau vorzubereiten, zu viel zu lesen, zu viele Bilder anzuschauen. Dann wären wir jetzt nämlich weniger sprachlos von der Schönheit dieser Heidelandschaft – und die aber hat jedes überraschte Herzklopfen verdient.
Das Meer haben wir seit unserem Start im kleinem Küstendorf Vik fast die ganze Zeit über im Blick. Entweder aus unmittelbarer Nähe, weil wir direkt am Strand entlangwandern. Oder mit weitem Panorama von oben herab – auf den Hügeln im und um den Nationalpark Stenshuvud. Er ist als Schwedens südlichster Nationalpark zwar kein Geheimtipp, hält aber gleichzeitig beeindruckende Ausblicke auf weite Strände und dicht bewachsene Hügellandschaften parat. Der Skåneleden führt mitten durch sein Herz – und obwohl wir einige Wanderer und Tagesausflügler treffen (vor allem für schwedische Verhältnisse), scheinen wir unmittelbar außerhalb der Parkgrenzen weit und breit die Einzigen zu sein, die zu Fuß mit großen Rucksäcken durch die Landschaft ziehen.
Vielleicht ist es deswegen, vielleicht ist es wegen des Gewichts auf unseren Rücken oder dem Baff-Sein von dieser Facette Schwedens: Obwohl wir erst heute Morgen losgelaufen sind, stecken wir in unserem Köpfen mitten im Fernwandermodus.
Der Platz für unser Zelt fühlt sich dank des Jedermannsrechts nach Ankommen an, die Luft riecht nach Freiheit – und während wir abends unsere gefriergetrocknete Tütennahrung löffeln und den Tag Revue passieren lassen, platzen wir gleichzeitig vor Neugierde auf alles, was diese Tour auf den nächsten Etappen für uns parat halten wird.
Tag 2: Soweit das Auge reicht
Im Zelt bleibt es um diese Jahreszeit die ganze Nacht lang hell genug, um durch den Nylonstoff die Umrisse der Bäume zu sehen, die sich im Wind bewegen. Wir schlafen trotzdem tief und fest, bis die Sonne morgens bereits hoch am Himmel steht – so platt sind wir vom Laufen und von all den Neuen Eindrücken.
An diesem Morgen gehen wir alles bewusst langsam an, weil wir wissen, dass wir diese weite Strandlandschaft in ein paar Kilometern hinter uns lassen werden. Wir laufen im Sand direkt am Wasser entlang und verabschieden uns vom glasklaren Rauschen, bevor wir in die Hügellandschaft im Landesinneren abbiegen.
Zwischen den weiten Hügeln, die ebenso die Weidelandschaft Irlands sein könnten, treffen wir auf Sonne und Regen, auf Wind, Pferde und einzelne Farmhäuschen. Oft zieht all das so schnell an uns vorüber, dass wir noch in ein Gespräch über die letzten Eindrücke versunken sind – dann holen uns bereits die Übernächsten ein. Was uns hingegen die ganze Zeit über begleitet, ist das Freiheitsgefühl, das in dieser weiten Landschaft unglaublich viel Platz bekommt.
Tag 3: Ein bisschen wie die Tropen
Der dritte Tag beginnt in der Nacht. Mit einem Sturm, der die große Birke, unter der unser Zelt steht, ordentlich Wanken lässt. Und mit dem Ruf des Kuckucks, der und stundenlang darüber informiert, dass auch seine Nachtruhe ins Wanken geraten ist.
Kuckuck, kuckuck, kuckuck.
Kuckuck, kuckuck, kuckuck.
Wir liegen lachend im Zelt. Um 1:30, um 3.00 und um 4:00 Uhr. Der Kuckuck ist die ganze Nacht wach, wir mehr oder weniger auch, immer wieder zumindest. Ärgern können wir uns darüber aber nicht, stattdessen fühlt sich all das hier surreal normal an. Als wären wir wie selbstverständlich Teil dieser Natur, wenn auch unsere rotes Zelt aus ihr heraussticht.
Das Rascheln der Birken und Buchen begleitet uns auf dieser dritten Etappe. Es ist die Erste, in der wir den Wald kaum verlassen, stattdessen immer tiefer eintauchen in das tiefe Grün. Immer wieder plätschert ein Bach und manchmal wachsen die Farne an seinen Ufern so grün, die Insekten schwirren so unermüdlich und die Vögel singen so laut durcheinander, dass wir uns hier, im Süden Schwedens, vorkommen wie in den Tropen.
Tag 4: Lang genug und doch zu kurz
Auf so einer Trekkingtour mit ordentlich Gewicht auf dem Rücken, mit allem, was man zum täglichen Überleben eben so braucht, drehen sich viele Schritte natürlich um das körperliche Wohlbefinden. Ein Zwicken hier, ein Zwacken da. Ein bisschen Knie, Hüfte oder Schulter. Vor allem aber finden die Strapazen im Kopf statt: erst recht, wenn die Trekkingnahrung hätte üppiger ausfallen können, Tag für Tag aufs Neue, wenn das Wetter ungemütlich ist oder die Nacht zu kurz war.
Oft spielt es dann gar keine Rolle, wie viele Kilometer die Tagesetappe lang ist. Egal, ob 12 oder 20 Kilometer geplant sind. Beides kann sich gleich weit anfühlen. Dafür ist unser Gedankenspiel verantwortlich.
Obwohl das kein überraschender Effekt für uns ist, hat er uns gestern einen Streich gespielt: Der Tag sollte so etwas wie ein halber Pausentag sein, mit zwölf Kilometern stand nämlich die kürzeste aller Etappen vor. Und doch ist genau die uns ganz schön lange vorgekommen. Länger als die gut 20 Kilometer an Tag 2. Entsprechend gespannt sind wir, wie wir diese letzte Etappen meistern werden. Während wir gestern nämlich nach zwölf Kilometern froh waren, keinen Schritt mehr gehen zu müssen, werden wir unser Ziel für diese Trekkingtour – eine Bushaltestelle mit Burgerladen nebenan – nach 17 Kilometern erreichen.
Und dann ist es wieder der Kopf, der uns einen Streich spielt, sobald wir loslaufen. Oft sind es nämlich vor allem die letzten Kilometer, die am schnellsten verfliegen. In diesem Fall sind sie außerdem eine schöne Zusammenfassung über die Landschaften, die wir während der letzten Tage durchquert haben. Weiden folgen auf Wald, Hügel halten weite Ausblicke parat, und die Heidelandschaft des kleinen Naturreservats Drakamöllan erinnert an die glasklare Ostsee, die nach weiteren Kilometern Schwedens Küste umspült.
Für unsere Beine ist diese letzte Etappe auf dem Skåneleden zwar lang genug – für unsere Köpfe aber doch zu kurz.
Der Abschied von diesen Tagen voller Weite und Freiheit fällt uns nicht leicht. Wie gut aber, dass wir auf dem Skåneleden erst gut 70 Kilometer zurückgelegt haben. Bleiben mehr als 1.200, die wir ein andermal erkunden können.
Trekking auf dem Skåneleden – meine Tipps:
Der Skåneleden: Der Skåneleden ist offiziell in fünf Teilstrecken (SL1-5) und 89 Etappen eingeteilt, die kreuz und quer durch Schwedens südlichste Provinz führen: Skåne. Dabei führt der Skåneleden über Klippen, Weiden und einen mächtigen Höhenzug. Abwechslung liegt oftmals in jeder einzelnen Etappe, so war es auch bei unserer Routenwahl:
Vier Tage lang waren wir auf einer der Teilstrecken des Skåneleden unterwegs: auf dem Österlenleden (SL4). Wie die meisten Etappen des Skåneleden ist auch seine Routenführung so gut durchdacht, dass immer wieder eine gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz besteht. Das macht es leicht, eine Trekkingroute an individuelle Bedürfnisse anzupassen.
Beste Reisezeit: Die Region Skåne ist stolz auf ihr mildes Klima, oft werden hier im Sommer die höchsten Temperaturen Schwedens gemessen. Auch die Winter fallen milder aus als im Rest des Landes – die Wanderwege sind in der Regel in allen Monaten ohne Skier begehbar. Bedenke aber, dass die Jahreszeiten hier im Vergleich zu den meisten Regionen in Deutschland etwas verschoben sind: Der Frühling startet etwas später, der Herbst hält früher schon Einzug.
Anreise: Schweden verfügt über ein gut funktionierendes Schienennetz, das sich über das gesamte Land spannt. Ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für Reisende aus Deutschland ist beispielsweise Malmö – das Tor zur Region Skåne. Zum Beispiel von Hamburg aus gibt es täglich mehrere Verbindung nach Malmö (durch Dänemark). Ab 1. September 2022 wird es außerdem eine neue Nachtzugverbindung geben, die Hamburg mit Stockholm verbindet – ebenfalls mit einem Stopp in Malmö.
Von Malmö aus fahren Regionalzüge quer durch Schwedens Süden, auch Busse bringen Reisende zu den meisten Orten in der Region.
Tickets und Fahrpläne gibt’s in der App von Skånetrafiken, die ist für iPhone und Android auch auf Englisch verfügbar.
Ausrüstung: Allen voran natürlich der Rucksack, der gut auf dem Rücken sitzt. Meine Wahl für ein Mehrtagestrekking mit Zelt fällt auf den Tatonka Yukon 50+10. Neben der Standard-Ausrüstung für solche Touren ist in Schweden definitiv Mücken- und Zeckenschutz zu empfehlen – sowie Filter oder Tabletten zur Wasseraufbereitung. Alle Wasserstellen sind auf der offiziellen Website des Skåneleden gekennzeichnet, teilweise sind die Abstände aber länger als zehn Kilometer. Natürliche Quellen können in den Sommermonaten allerdings ausgetrocknet sein.
Übernachten: Entlang des Skåneledens (und generell an Schwedischen Weitwanderwegen) gibt es ausgewiesene Übernachtungsplätze, an die die offiziellen Etappen-Empfehlungen angepasst sind. Dort dürfen wir nicht nur unser Zelt aufschlagen, sondern kommen oft auch in den Genuss von weiterer Infrastruktur: manchmal gibt es Feuerstellen samt Holz, einfache Toiletten oder sogar ein Wetterschutz aus Holz.
Das Jedermannsrecht erlaubt es außerdem, dass wir die Nacht auch anderswo in der Natur verbringen. Ausgenommen sind Privatgrundstücke, Nationalparks und Naturreservate. Hier gibt es Infos zu den Einzelheiten.