Ich bin froh diese Entscheidung getroffen zu haben. Die Entscheidung ein solches Abenteuer anzupacken
trifft man bewusst. Das aber nur ein, vielleicht zweimal in seinem Leben…

Als die kleine Propellermaschine in den Anflug geht und wir die arktische Tundra unter uns immer
größer werden sehen, wird uns endgültig bewusst, auf was für ein Abenteuer wir drei uns eingelassen
haben. Das Flugzeug setzt auf der Schotterbahn auf und Cambridge Bay begrüßt uns mit Sonnenschein
und einem blauen Himmel.
Je drei volle Packsäcke und das Sperrgepäck samt unserem Wanderwagen sind unversehrt mit uns an dem kleinen Flughafen angekommen.

Wir befinden uns in Kanada, besser gesagt auf Victoria Island, nördlich des Polarkreises. Ganz anders als
im restlichen Kanada, bestimmen hier keine Bergketten oder dichte Wälder das Landschaftsbild. Vielmehr
ist Victoria Island geprägt von unzähligen Seen, kleinen Hügeln und sumpfigen Gegenden.
Ziel von uns Joshua, Mario und mir, Sebastian, ist es die weltweit größte Insel in einem See auf einer
Insel in einem See auf einer Insel zu erreichen. Und das aus eigner Kraft, also zu Fuß und mit aufblasbarem Packraft.

Diese Insel wird „Third Order Island“ oder auch „Inception Island“ genannt und wurde bisher mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht betreten. Sie gilt daher als sogenannter „weißer Fleck“ auf der
Landkarte. Wir möchten das ändern und sie als erste Menschen jemals betreten.

Rund 70 Kilogramm an Gepäck haben wir für die kommenden Wochen dabei. Verpflegung, Zelt, Kochgeschirr, Wechselkleidung, Schutz gegen Wildtiere, Wasserfilter, Packrafts, Erste-Hilfe-Set… Diese Liste könnte ewig so weitergehen. Das alles transportieren wir mithilfe unseres Tatonka Rucksacks auf dem Rücken und größtenteils auf unserem Wanderwagen, welchen wir mit einem Tragegeschirr hinter uns herziehen können.

Vom Flughafen aus machen wir die ersten Schritte und gehen einige Kilometer aus der Stadt raus. Hier schlagen wir unser Zelt für die erste Nacht auf.
Am darauffolgenden Tag starten wir in Richtung Third Order Island. Der erste Teil der Strecke ist noch teilweise befestigt und hin und wieder steht ein kleines Haus am Rand der Schotterstraße. Immer seltener begegnet uns ein Quad oder ein Auto.

Nachdem wir in den ersten beiden Tagen rund 25 Kilometer zurückgelegt haben, mündet die Schotterstraße, die nur noch von Offroadfahrzeugen benutzt werden kann, in einem Strandabschnitt. Hier bekommen wir das erste Mal zu spüren, was es heißt so viel Gewicht hinter sich her zu ziehen. Die kleinen Reifen unserer Wanderwägen graben sich immer tiefer in den Sand und jeder Meter wird hart erkämpft. Während wir uns durch den Strand kämpfen, haben wir zu unserer Linken das offene Meer und zu unserer Rechten die unendlich weiten Gras- und Hügellandschaften von Victoria Island. So schön es hier auch ist, so erschöpft sind wir abends.

Das Wetter ist auch am vierten Tag weiterhin warm und sonnig. Ideale Voraussetzungen für die Horden an Moskitos. Ohne Insekten-Spray und Mückenschutz ist es kaum auszuhalten. Vor allem am Abend, wenn man ohne viel Bewegung im Camp ist, müssen wir uns gut einpacken, um nicht am lebendigen Leib gefressen zu werden. Trotz der Maßnahmen zähle ich zwischenzeitlich rund 50 Stiche. Die Nacht verbringen wir auf einem Hügel mit einem atemberaubenden Überblick über die Landschaft. Die schöne Aussicht lassen uns die Plackereien des Tages schnell wieder vergessen. Früh am nächsten Morgen starten wir in Richtung unseres ersten großen Wasserhindernisses.

Als wir am See ankommen, müssen wir jedoch eine schwere Entscheidung treffen, welche uns bereits seit Tag eins begleitet. Fakt ist, dass wir aktuell unter optimalen Bedingungen laufen. Fakt ist auch, dass wir selbst bei diesen Bedingungen nicht schnell genug vorwärtskommen. Der voll beladene Wanderwagen ist für das Gelände mit Sand, Sümpfen, Büschen und seinem ruppigen Untergrund einfach zu schwer.

Bei solchen Abenteuern muss man seine Pläne auch umwerfen und sich der Situation anpassen können. Gesagt, getan. Wir werden jedes Gramm los, was nicht wirklich unverzichtbar ist. Klamotten, Equipment, Essen oder auch ein Buch wandern in die Packsäcke, welche wir zurücklassen werden. Wir verstecken diese gut unter den Überresten eines eingefallenen Fischerhauses und markieren unser Depot auf unseren GPS-Geräten, um unsere Ausrüstung auf dem Rückweg wieder einzusammeln.

Als wir am Abend unser neues Set-Up sowie die Packrafts testen, sind wir zuversichtlich, dass wir die Expedition erfolgreich abschließen werden. Der nächste Morgen soll uns aber etwas anderes Lehren. Die Insel zeigt uns zum ersten Mal, was Sie drauf hat und warum die arktische Tundra so erbarmungslos ist. Die ganze Nacht hat es durchgeregnet, begleitet von Blitzen und Donnergrollen. Glücklicherweise hält uns das Tatonka Zelt auch bei schlechtem Wetter warm und trocken.

Als wir gegen 9 Uhr mit unseren Packrafts ablegen wollen peitscht der Wind weiterhin über den See. Die Wellen schwappen über die Bordkante und füllen unsere Boote auch bei der kurzen Überfahrt mit immer mehr Wasser. Hätten wir bloß die Reißverschlüsse der Abdeckplane richtig geprüft. Für die rund 2 Kilometer benötigen wir mit dem Gegenwind mehr als eine geschlagene Stunde. Geschafft von den Strapazen kommen wir am anderen Ufer an und sind froh, dass nichts wirklich Schlimmes passiert ist. Unsere Packtechniken optimieren wir nach dieser grenzwertigen Erfahrung, sodass wir in der Zukunft nicht mehr Gefahr laufen, dass die Boote voll Wasser laufen.

Das Wetter pendelt in den darauffolgend irgendwo zwischen „Es regnet aus allen Kübeln“ und „Die Sonne grüßt durch die Wolkendecke“. Doch auch an den sehr nassen Tagen kommen wir meist trocken und zügig voran, da wir mit den Tatonka Ponchos gut ausgestattet sind.

Nach einer spannenden Flussüberquerung am sechsten Tag, entscheidet sich das Wetter ab Nachmittag dann aber doch nochmal zu unseren Gunsten. Jetzt fühlen wir uns so richtig im Abenteuer angekommen. Wir kommen gut voran und entscheiden uns am achten Tag dazu, mit unseren Packrafts zum ersten Mal ins Meer zu stechen. Bei hervorragenden Bedingungen paddeln wir den Nachmittag und den darauffolgenden Vormittag am Ufer des Meeres entlang. Die See ist ruhig und wir können gut Strecke machen.

Als wir am Ufer anlanden, folgt das übliche Ritual. Luft aus den Booten lassen, den Wanderwagen zusammenbauen, alles aufladen, verzurren und uns selbst wieder vor den Wagen spannen. So legen wir an den kommenden beiden Tagen erneut rund 15 bis 20 Kilometer zurück. Trotz guten Wetters ist die Strecke sehr beschwerlich. Es ist hügelig, vergleichsweise bergig, sumpfig und der letzte Kilometer zu unserem Tagesziel am elften Tag ist voller Gestrüpp in welchem sich unsere Wanderwägen andauernd verhaken und verheddern.

Am Camp angekommen liegt ein riesiger Plattensee vor uns. Dieser ähnelt eher einem sehr breiten Fluss, welcher sich viele duzendende Kilometer über Victoria Island verzweigt. Hier in Deutschland wäre dieser See wahrscheinlich ein touristisches Highlight – dort ist er einer von hunderten. Endlich finden wir Zeit, um uns und unsere Klamotten zu waschen. Eine Wohltat nach tagelanger, mangelnder Hygiene.

Am frühen Nachmittag als wir uns gerade einen kurzen Mittagsschlaf gönnen wollen, bemerkt Joshua als erstes etwas in der Ferne. Zwei große Schatten bewegen sich in unsere Richtung. Als er erkennt um was es sich handelt, platzt es aus ihm heraus. „Karibus!!“ Mario und ich schrecken hoch und schauen gebannt in die Richtung in die Joshua zeigt. Tatsächlich. Nach fast 2 Wochen der erste Kontakt mit anderen Säugetieren. Wie wir vor der Tour erfahren haben, sind Rentiere eher seltener anzutreffen. Umso mehr freuen wir uns nun zwei wunderschöne, gesunde Hirsche vor uns zu haben. Wir bleiben ruhig und beobachten das Verhalten. Wir sind erstaunt, wie neugierig die beiden sind. Nach einigen Minuten überqueren sie sogar die kleine Wasserstelle, die uns bisher von den beiden getrennt hat. Bis auf schätzungsweise 30 Meter kommen sie heran. Nach einigen Minuten ist Ihre Neugierde befriedigt und sie machen sich von dannen.
Das sind die Erlebnisse, von denen wir geträumt haben.

Der darauffolgende Morgen ist jedoch alles andere als träumerisch. In der Nacht hat es wieder angefangen zu regnen und zu stürmen. Dazu mischt sich Blitz und Donner. Zu dritt in einem Zelt auf weiter Flur, wird einem doch etwas anders zu Mute. Als Schutzmaßnahme haben wir unsere Wanderwägen mit der Deichsel nach oben als eine Art Blitzableiter einige Meter entfernt vom Zelt aufgestellt. Ob es helfen würde, finden wir glücklicherweise nicht heraus, aber die gefühlte Sicherheit ist dadurch etwas höher. Gegen zehn Uhr hören Regen und Donner auf, was bleibt ist der straffe Wind.

Nach einigem hin und her und fehlender Motivation, entscheiden wir uns mit den Packrafts in See zu stechen. Wir möchten dabei nahe beieinander und am Ufer bleiben falls etwas passieren sollte. Gerade als wir in See stechen wollen packt uns erneut der Erfindergeist. „Moment“ sage ich zu Joshua und Mario, „Spürt ihr das? Merkt ihr woher der Wind kommt?“. Wir haben Rückenwind und bereits einige Tage zuvor hatten wir den Gedanken bei Rückenwind zu segeln. Die Deichsel dient uns dazu als Mast, der Tatonka Poncho als Segel. Ein kurzer Testlauf, bekräftigt uns in unserem Vorhaben. So kommt es, dass wir an diesem Tag kaum einen einzigen Paddelzug machen und dennoch mit 3 bis 4 Km/h gut Strecke zurücklegen. Wir fühlen uns wir kleine Kinder die spielend die Welt erkunden.

Die kommenden Tage schlagen wir uns weiter, Kilometer für Kilometer über den See. Immer wieder queren Karibus, meist zu zweit, unseren Weg. Dann halten wir inne und lassen die Tiere und uns ihre Neugierde befriedigen. Mittlerweile sind wir in unserem Tagesablauf sehr routiniert. Wir sind als Team zusammengewachsen und effizienter geworden. Vom Klingeln des Weckers bis zum ersten Schritt oder Paddelzug, haben wir uns im Gegensatz zu Tourbeginn von über zwei Stunden auf weniger als 90 Minuten verbessert. Zwischen den drei großen Mahlzeiten sind die kleinen Snacks, wie Nüsse oder Schokoriegel immer wieder ein kleiner Motivationsschub auf dem schier endlosen Weg Richtung Third Order Island.

Am 18. Tag ist unser erklärtes Ziel dann aber nicht mehr weit entfernt. Kurz vorm Übersetzen auf die Second Order Island machen wir Mittagspause und reparieren ein drittes und letztes Mal unsere Fußpumpe für die Packrafts. Mehr schlecht als Recht pumpen wir die Luft in unsere drei Boote, was uns aber keineswegs die Motivation raubt.

Die letzten Meter einer Tour sind bekanntlich die Schwierigsten und so macht es uns Victoria Island noch einmal mit Gegenwind und Regen so beschwerlich wie möglich. Der Wind treibt uns mit den Booten immer wieder vom Kurs ab. So fühlen sich die rund 300 Meter zur Second Order Island an wie 3 Kilometer. Den Wanderwagen bauen wir erneut auf, das Boot legen wir einfach aufgepumpt obendrauf und machen uns auf, die letzten anderthalb Kilometer auf der Second Order Island zurückzulegen.

Dann am Ufer angekommen sehen wir sie endlich: Die weltweit größte Insel in einem See auf einer Insel in einem See auf einer Insel. Die Third Order Island liegt direkt vor uns. Hundert, vielleicht zweihundert Meter Wasser trennen uns von unserem Ziel. Wir legen ab und geben noch einmal alles.

Als unsere Boote am gegenüberliegenden Ufer aufsetzen, entscheiden wir uns dafür gemeinsam den ersten Fuß auf die Insel zu setzen. Wir packen uns einander, heben den Fuß und setzen gleichzeitig auf.
Geschafft!

Wir sind vermutlich die ersten Menschen, die jemals diese Insel betreten haben. Und das aus eigener Kraft. Ohne motorisierte Fahrzeuge oder Hilfsmittel. Wir sind körperlich super platt aber überglücklich.

Nachdem wir die Boote an Land gezogen haben, erkunden wir ein wenig die Insel. Leider ist das Wetter nicht sonderlich gut. Somit verbringen wir viel damit im Zelt zu liegen, uns zu stärken und die letzten Wochen Revue passieren zu lassen.

Nach zwei Tagen auf der Insel klart am Tag der Abholung der Himmel über uns auf und wir können die letzten Stunden in Ruhe zusammenpacken und trocken auf die Second Order Island zurückkehren. Gegen 10:45 Uhr hören wie die Propeller des kleinen Wasserflugzeugs, welches uns hier in der Wildnis abholt, dann in der Ferne donnern. Eine Runde dreht das Pilotenduo über uns hinweg um eine geeignete Einflugschneise zu finden und setzt dann mit einer Bilderbuchlandung auf dem Wasser auf. Wir rudern den beiden entgegen und freuen uns nach drei Wochen endlich wieder andere Menschen anzutreffen. Noah und Brian helfen uns dabei, unser gesamtes Gepäck im Flugzeug zu verstauen. Mit uns dreien auf der Rückbank ist die Maschine dann auch bis an ihr Maximum beladen.

Als Noah den Schub betätigt beginnen wir langsam über das Wasser zu gleiten. Dann immer schneller, bis wir abheben und die Landschaft unter uns immer kleiner wird. Die Insel, mit all den Seen, Sümpfen, Flüssen und Hügeln von oben sehen zu können ist einfach unvorstellbar schön.

Auf dem Rückweg machen wir noch einen kurzen Zwischenstopp, um unser Gepäck einzusammeln, dass wir zu Beginn der Reise versteckt haben. Alles ist noch so wie wir es zurückgelassen haben. In Cambridge Bay angekommen, können wir nun die kommenden Tage damit verbringen ein wenig Energie zu tanken, die Umgebung zu erkunden und das erlebte zu verarbeiten.

Wir treffen auf wundervolle Menschen, suchen uns kleine Minijobs und erleben dadurch nochmal ein zweites Abenteuer. Eine einmalige unvorstellbare Reise geht zu Ende, die wir im Team erfolgreich beenden konnten. Vielen Dank an dieser Stelle an Tatonka, die uns bei unserer Expedition großartig unterstützt haben.

Tatonka Ausrüstung:

Text: Sebastian Uhrig
Fotos: Joshua Grom, Mario Bastady, Sebastian Uhrig

Web: joshuagrom.de/third-order-island-2023/
Social Media: @joshua.grom und @sebastianurik

Weitere Impressionen der Third Order Island – Victoria Island Expedition: