Hallo Anja und Daniel und dann auch hallo Tatoka-Team, ich bin Nora und reise mit einem Tatonka Yukon seit vier Jahren um die Welt. Mein erstes Land war Island, ich war damals sehr aufgeregt, es war mein erster Backpacking-Trip, und ich wusste nicht, ob alles in einen 50-Liter-Rucksack reinpassen kann. Ich erinnere mich noch an meine totale Überforderung und habe immer wieder vergessen, in welches Fach ich was gepackt habe! Nun, vier Jahre später, bin ich ein Experte und benutze nicht mehr die vollen 50 Liter, dennoch würde ich nicht mehr ohne meinen Yukon reisen. Der Rucksack ist wahrscheinlich das Wertvollste, was ich besitze, all die Erinnerungen, die Orte, an denen ich irgendwelchen fremden Leuten mein Hab und Gut anvertraut habe und bei einer Zehn-Stunden-Busfahrt quer durch Länder nicht wusste, ob er später noch da sein wird.
Irgendwann habe ich angefangen, von jedem Land eine Flagge auf ihn drauf zu nähen und – omg -mein Rucksack wird dadurch auch von anderen Backpackern geliebt. Es sind bis jetzt vier Jahre, 23 Länder und zwei Langzeitwanderungen (Annapurna Circuit, Nepal und Te Araroa, Neuseeland).
Ich war in fünf europäischen, vierzehn asiatischen und vier ozeanischen Ländern. Erzählen möchte ich euch heute aber von meinem letzten Abenteuer, 3000 Kilometer vom nördlichsten Punkt zum südlichsten Punkt Neuseelands: Willkommen zum Te Araroa, dem Abenteuer meines Lebens. Wieso ich auf die Idee kam, diesen zu laufen? Was Neues ausprobieren. Über seinen Schatten springen. Der Natur näher kommen.
Der Beginn: Drei Tage auf dem 90-Mile-Beach
Am 11. November 2019 um 9:11 Uhr habe ich meinen ersten Schritt getan auf einer Reise, bei der ich nicht wusste, wohin es genau gehen wird, wie lange es dauern wird und ob ich überhaupt in der Lage sein werde, es zu tun. Die ersten drei Tage ging es den berühmt-berüchtigten 90-Mile-Beach entlang. Drei Tage immer das Gleiche sehen: rechts das Meer, links die Dünen und geradeaus der unendlich wirkende Strand. Klingt erst wunderschön, aber nach einer Weile ist es sehr langweilig. In dieser Zeit haben ich und andere Wanderer uns die meisten Gedanken über unsere Rucksäcke gemacht, das Gewicht und ob wir überhaupt alles brauchen, was dort drin ist. Ich habe den Yukon geliebt, er ist zwar kein Ultralight-Backpack, aber daher auch viel angenehmer zu tragen. Ich hatte genügend Fächer, um Dinge praktisch zu verstauen. ABER am allerwichtigsten war: er war groß genug, um all das Essen und Wasser zu verstauen.
Knietief durch den Matsch
Nachdem die ersten Tage überstanden waren und ich mich langsam an das Jeden-Tag-Wandern gewöhnt hatte, kamen neue Herausforderungen. Vom Strand ging es zu einigen Matschwäldern, und ich kann euch sagen, so viel Matsche habe ich in meinem Leben noch nie gesehen, knietief. Die Füße taten weh und Blasen wurden leider immer schlimmer, das Einzige, was mich zu diesem Zeitpunkt laufen lassen hat, waren die Menschen um mich herum. Es ist egal, wo und wie man reist, die Menschen, die man trifft, machen Orte unvergesslich. Die ersten zweieinhalb Wochen auf dem Trail war ich Teil einer achtköpfigen Trail Family und ich würde mal behaupten, ohne unseren Zusammenhalt hätte die Hälfte von uns nach der ersten Woche aufgegeben. Aber es sind nicht nur die anderen Wanderer, die den Trail besonders machen: Trail Angels sind die wahren Helden. Das sind Menschen, die in der Nähe des Trails leben und einen einladen, im Garten zu zelten oder einen sogar im Gästezimmer schlafen lassen, die für einen Abendessen kochen oder einfach Obst oder eine Cola am Wegrand abstellen und einem damit den Tag retten.
Die Entdeckung der Freiheit
Nach den ersten drei Wochen mentalem Kampf, weiter zu laufen, habe ich angefangen es zu lieben. Egal, ob ich im Nirgendwo in einem Matschwald war, an einem Tag über 2000 Höhenmeter machen musste oder oft nicht wusste, wo ich abends zelten werde, war es die absolute Freiheit. Freiheit von Sorgen, News, Nachrichten, Social Media, es gab nur mich und die anderen Verrückten, die die gleiche Strecke wanderten. Jeder Tag war neu und besonders, aber es gab auch langweilige und harte Tage dazwischen. Ellenlange Route Walks oder tagelang im strömenden Regen zu laufen und zu wissen, man muss abends wieder ins kalte und nasse Zelt, und dennoch war es mit die beste Zeit meines Lebens.
Die Nordinsel Neuseelands ist ziemlich erschlossen, und wir kamen nach zwei bis drei Tagen Wald immer wieder in kleinen Orten an, in denen es nichts anderes gab als acht Häuser und ein Pub. Wir haben gestunken und waren dreckig, und doch waren die Leute dort froh, uns im Pub mit Bier, Burger und Pommes auszuhelfen. Danach hieß es für uns wieder: Rucksack auf und in die Matsche, Berg auf und ab, immer mit dem Ziel, es zur Südinsel zu schaffen, wo die Natur noch schöner und weiter sein sollte. Und dennoch durfte man nie vergessen, im Hier und Jetzt zu sein.
Kanu fahren? Wie langweilig
Ziemlich am Ende der Nordinsel gibt es eine 170 Kilometer lange Strecke, die im Kanu auf dem Whanganui River zurückgelegt wird. Zuerst haben wir uns alle gefreut, unseren Füßen einmal Ruhe zu gönnen, doch wie das so bei Wanderern ist, haben wir uns nach zwei Tagen im Kanu gelangweilt. Verrückt, wie schnell man sich an Dinge gewöhnt und wie schnell sie zur Routine werden.
Dann, nach zwei Monaten und 1700 Kilometern, habe ich endlich Wellington und somit das Ende der Nordinsel erreicht. Dort habe ich Essensboxen gepackt und an verschiedene Orte auf die Südinsel geschickt, da wir dort teilweise Etappen von zehn Tagen hatten ohne Zivilisation, und diese war dann oft nur ein Hotel oder Tankstelle im nirgendwo.
Auf ins Nirgendwo
Dann ging es also los, ab ins Nirgendwo, kein Empfang, fast keine Menschen um einen herum, nur ich und die Natur, und irgendwie war es beängstigend. Ich hatte meine ersten wirklich großen Flussdurchquerungen, alle überlebt, ohne wirklich zu wissen, was ich tue. Meine ersten Berggipfel und Schnee und die erste wirkliche Einsamkeit. Ich bin tagelang gelaufen, ohne einen anderen Menschen zu sehen. In Trekkingbüchern auf der Strecke habe ich gesehen, dass Leute, die ich kenne, ein bis zwei Tage vor mir waren, allerdings war es fast unmöglich, diese einzuholen, wenn sie keinen Ruhetag eingelegt haben.
So hieß es für mich, Berg auf und ab, an teilweise gefährlichen Berggraten lang, um danach ins Tal runter zu wandern, um dort einen großen Fluss dutzende Male zu durchqueren. Absolutes Abenteuer und Freiheit, und doch war ich froh, wieder auf altbekannte Gesichter zu treffen.
Denn auch hier waren es mehr die Menschen um mich herum, die es zu etwas Besonderem gemacht haben, obwohl ich von der wohl schönsten Natur dieser Welt umgeben war. Die Aussichten auf dem Berg oder Schmerzen beim Herauflaufen sind einfach immer schöner oder besser zu ertragen, wenn man sie teilen kann mit Menschen, die genau verstehen, was man aktuell durchmacht.
Es war immer wieder toll, am Campingplatz die Geschichten und Erfahrungen vom Tag miteinander zu teilen und voneinander zu lernen und sich so verbunden zu fühlen, obwohl wir alle von unterschiedlichen Orten dieser Welt kamen und aus komplett unterschiedlichen Gründen diesen Trail gelaufen sind. Und doch hat uns diese Erfahrung und Leidenschaft verbunden.
Sich immer wieder selbst überwinden
Ich kann mich noch gut an einen Tag erinnern, der mit der schwierigste, aber auch schönste auf dem ganzen Trail war. Zu dem Zeitpunkt war ich mit Julia, auch aus Deutschland, unterwegs, und wir hatten einen schönen Spot zum Campen direkt am Fluss. Wir wussten, wenn wir aufstehen am nächsten Morgen, müssen wir auf einer zwei Kilometer langen Strecke mehr als 1000 Höhenmeter machen. Ja, ein sehr steiler, rutschiger und schwieriger Anstieg, und das mit 15 Kilogramm Gepäck auf dem Rücken. Wir entschieden uns, sehr früh loszugehen, um es schnell hinter uns zu bekommen. Wir brauchten zweieinhalb Stunden und sind teilweise auf allen Vieren hochgekrabbelt. Ich hasste es, doch oben angekommen, hatten wir den für mich schönsten Ausblick des kompletten Trails. Wir waren selbst auf ca. 1600 Meter und haben über Lake Hawea und die schneebedeckten Berge geschaut.
Es war windstill und die Anstrengung vergessen, einfach Magie und nicht in Worte zu fassen. Wir saßen dort, ohne zu reden, und ich weiß nicht mehr, wie lange. Solche Orte gibt es selten auf der Welt, und vor allem solche Momente. Ich glaube, es wäre nur halb so schön gewesen, wenn wir mit einer Gondel nach oben gefahren wären. Das Schöne daran war die Aussicht, aber auch, dass wir es uns erarbeitet hatten.
100 Kilometer in 26 Stunden
Zudem kamen Julia und ich auf die verrückte Idee, die letzten 100 Kilometer des Trails in einem Stück zu laufen. Was bedeutete: 23 Kilometer Wald, 37 Kilometer Strand und 40 Kilometer Straße in 26 Stunden. Es war ein verrücktes Gefühl, total übermüdet, fertig, aber überglücklich am 5. März 2020 um 10:05 Uhr am Endpunkt angekommen zu sein.
Das Gefühl, man hat es geschafft, welches allerdings auch eine Leere hinterließ. Das Ziel war erreicht, die vorherigen Erzählungen nun eigene Erfahrungen und ein Traum war nun Wirklichkeit. Ich habe so oft daran gedacht, aufzugeben, am Ende war es mental schwieriger als körperlich, und es hat mir einiges abverlangt. Und doch würde ich es wieder tun. Das Gefühl, aus der eigenen Komfortzone auszubrechen, ist einfach unbeschreiblich.
Nun verziert meinen Rucksack, mit Stolz, nicht nur die Flagge von Neuseeland, sondern auch ein Sticker mit dem Wappen des Te Ararao Trail. Der schlimmste Tag auf dem Trail war immer noch besser als der schönste im Büro.