Wir sind Bo sin Límite, Ewig-Reiser mit Peter Pan-Komplex und Dr. Iguana Hofmann, chilenische Designerin schöner Welten und Erfahrungen. Nach einer langen Tour die Amerikas und Ozeanien haben wir uns für unser erstes Abenteuer mit Tatonka die mysteriöse kleine Insel Chiloé ausgesucht. Sie liegt zwar nur wenige Kilometer vom chilenischen Festland, aber durch ein Stück Pazifik abgeschnitten, Welten entfernt von der Normalität.
Mystik der Huilliche
Die Abgeschiedenheit bemerken wir sofort – alles wirkt hier etwas außerirdisch…etwa so als wären wir gerade aus Deutschland nach Neuseeland übersiedelt. Der zweitgrößte indigene Stamm in Chile, die Huilliche (ausg. Wiwitsche) haben sich hier aufgebaut und ihre eigene Kultur erhalten. Mit rauschenden Flüssen, nebeligen Seen, starken Winden und dichten Wäldern ist Chiloé ein Ort intensiver Naturerlebnisse. Die Chiloten haben hieraus einen starken Glauben an mystische Kreaturen entwickelt, die uns an verschiedenen Stellen der Insel begegnen werden.
Laut Sage entstand die Insel von Chiloé im Kampf zweier magischer Schlangen, eine des Landes und die andere des Wassers. Zwar siegte die erstere und erhob Chiloé zu einer Landmasse, diese bleibt aber geprägt von der Macht des umgebenden Meeres: Ein Großteil der Menschen hier lebt vom Fischfang, die lokale Küche spriesst vor nautischen Delikatessen wie z.B. “ostiones a la macha” – das sind köstliche mit geschmolzenem Käse und Gewürzen überbackene Jakobsmuscheln.
Schon beim Anlegen unseres Schiffes begrüßt uns das Markenzeichen der lokalen Architektur: Die Palafitos sind bunte Häuser, die auf langen hölzernen Stelzen gebaut sind. Bei Flut liegen diese direkt am Wasserspiegel und bei Ebbe thronen sie 7 stolze Meter über dem Grund.
Auch die chiloten Kirchen sind architektonische Juwelen. Wunderschön aus Holz geschnitzt oder teils aus Ziegeln bestückt und allesamt in bunten Farben schimmernd, erinnern sie mehr an Schiffe als an Gebäude – aber vielleicht ist das für eine spirituelle Reise auch passender.
Die Wasservögel von Puñihuil
Startpunkt unserer Wanderung ist das Monumento Natural Islotes Puñihuil im Nordwesten der Insel. Während wir auf einem kleinen Boot zwischen den vorgelagerten Inseln fahren, erklärt uns ein waschechter Huilliche die Vielfalt der Wasservögel: Scharen von Cormoranen, Tölpeln, Pelikanen und sogar ein paar Albatrosse – jeder Spezies scheint sich einen eigenen Felsen abgesteckt zu haben. Auch die Magellan und Humboldtpinguine watscheln ungestört auf ihrer Insel herum.
Er erzählt uns die Legende vom Caleuche. Das ist ein Geisterschiff, bemerkenswert wendig kann es nicht nur gegen den Wind segeln, sondern sogar unter Wasser . Bei Nacht und Nebel feiert darauf eine Meute von Hexern. Wer das Schiff vom Land erblickt verwandelt sich in einen Seelöwen und wird entführt.
Aliens über Duhatao
Nach unserer Henkersmahlzeit, einer mächtigen Empanada mit Shrimps und geschmolzenem Käse, verlassen wir die Zivilisation und beginnen unsere 2-Tages Wanderung durch den Parque Nacional de Chiloé im Westen der Insel: über Duhatao bis Chepu. Die Rucksäcke gut am Becken befestigt, laufen wir einfach den Strand hoch und dann landindwärts, durch sonnige Graslandschaften – über uns kreisen bedrohlich die “jotes”, eine Art Geier, die stets die Hoffnung hegen, wir könnten unter der Mittagssonne zusammenbrechen und zu einer Mahlzeit werden.
Dabei tauchen wir ein in den Farbenreichtum der lokalen Vegetation: Zwischen den endlosen Cola de zorro (“Fuchsschwanz”) bemerken wir insbesondere eine Pflanze mit dunkelgrüner Textur, rauh wie Reptilienhaut und wohl prähistorischer Natur. Wir taufen sie daher die “planta Godzilla”.
Ein paar Stunden später, brechen wir durch bis zur Küste und stehen vor der spektakulären Aussicht weiterer Halbinseln, die eine natürliche Lagune formen: Das Wasser ist hier ruhig und voller algenartiger Lebewesen, bunt wie ein Satz flüssiger außerirdischer Legosteine.
Plötzlich sind wir umgeben von Hügeln mit dichtem palmenartigen Wald und schlendern barfuß durch einen Fluß, der zwischen Felswänden schlängelt – und hier ist er: Duhatao – der perfekte Schlafplatz: ein isolierter Strand, an dem ein paar chilenische Hippies ihre Zelte aufgeschlagen haben. im Handumdrehen haben wir unser Tatonka 2-Personen Tunnelzelt aufgestellt und erfrischen uns im eiskalten Meer.
Eine kleine Tour der magischen Umgebung führt uns auf unerwartet schöne Klippen. Und als wir so schön auf unseren Strand runterschauen, trifft uns plötzlich die Erkenntnis, dass unser Zelt verdammt nah am Wasser steht – was, wenn jetzt die Flut kommt? Doch bei unserer Rückkehr ist alles im Lot. Das Zelt schimmert olivgrün am trockenen Strand. Auf dem Weg haben wir eine schiffsartige Villa gefunden, verlassen, deren offene Terrasse ein traumhaftes Setting bietet für unser romantisches Abendessen unter dem Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre.
Während wir die Konstellationen suchen, fliegt plötzlich ein blinkender Stern vorbei und dann ein weiterer, und noch einer – wir sind baff und halten es zunächst für eine Formation von Militärflugzeugen. Erst Tage später lernen wir: das ist das Tesla-Projekt Starlink. Eine Kette von Satelliten, die in Reihe und Glied über den Himmel ziehen und bald weltweites Satelliteninternet ermöglichen sollen: Für Astronomen und andere Liebhaber des nächtlichen Kinos ein Alptraum.
Ab durch die Mitte: Die Küste bis Chepu
Am nächsten Morgen haben wir einige Hügel zu überqueren. Gerade genießen wir unser Frühstück an einem aussichtsreichen Picknick-Spot, als plötzlich ca. 20 Menschen an uns vorbei laufen. Sie rennen die Strecke Cross-Country und der kurze Moment des Neids beim Geruch unseres heißen Kaffees ist ihnen anzusehen.
Wir schlagen uns durch dichten Wald über die Hügel entlang der Küste.
Lauert in diesem Walde der Trauco, ein gnomartiger Dämon aus dem Walde, dessen Hässlichkeit alle anekelt, aber der es vermag, Jungfrauen in seinen Bann zu ziehen und zu verführen?
Hinter dem Walde erreichen wir einen ungeschützten Strand, und sind erschrocken, wie rauh der ungebrochene Pazifik wirklich ist. Eine Kaskade von übereinander gelagerten Wellen ziehen ein und aus über den kilometerlangen Strand. Den Sog, mit dem der Pazifik alles verschlingt, fühlt man schon beim Hinsehen.
Erst 10 km später erreichen wir den Fluß, dem wir nun wieder inlands folgen müssen. Und – Glück muss man haben – ein Boot mit Vater und Sohn dockt an und bietet uns einzusteigen.
Unser Retter erzählt uns von der Pincoya, einer wunderschönen blonde Frau, die das Meer beschützt und auch die Seefahrer. Mit ihrem Blick sagt sie, ob es viel oder wenig Fang gibt. Und werden die Fischer zu gierig, so kann sie ganze Teile des Meeres verderben.
Durch das Zentrum des Parkes gibt es keine Wege. Wir müssen daher einen großen Bogen schlagen um aus dem Süden erneut in den Nationalpark einzudringen. Die Nacht verbringen auf einem Campingplatz im Städtchen Chonchi. Hält uns nachts die Musik der anderen Camper lange wach, so weckt uns um 8 Uhr früh erneut Musik, übertönt nur von unvorstellbar lauten Baustellengeräuschen. Neben dem Zeltplatz werden gerade die Holzbalken für ein neues Gebäude gesägt.
Der lange Weg ins Paradies
Nach der Endstation des Buses, reisen wir das letzte Stück “a dedo” (“mit dem Finger”, wie man hier in Chile das Fahren per Anhalter nennt). Nun beginnt die Odyssee. Uns erwarten 3 Stunden Wanderung an einem endlosen Strand, zur linken der rauhe Pazifik. Wir laufen auf Sand unter der brutalen Mittagssonne, deren Hitze nur vom irritierend starken und omnipräsenten Wind übertrumpft wird. Zusätzlich zu unserer Ausrüstung tragen wir Essen für 4 Tage plus sogar eine Flasche Rotwein – wir sind buchstäblich erleichtert über unsere tollen Rucksäcke Tatonka Yukon. Das Gewicht müssen wir trotzdem schleppen, aber besser mit dem ganzen Körper als nur mit den Schultern.
Auf dem Weg beobachten wir Möwen, wie sie flachen Wasser lauern und nach kleinen Meerestieren buddeln. Finden Sie eine Muschel, so greifen sie diese und lassen sie aus 20 Meter Höhe auf den Boden krachen, so dass sie zerbricht und ihren köstlichen Inhalt preisgibt.
Nach 3 Stunden kommen wir zu einem Fluß, den wir zu Fuß durchqueren müssen. Wir folgen den Spuren eines Geländewagens um die flachste Stelle zu finden und durchqueren in Badehose.
Kurz denken wir mulmig an die Legende des Cuero, einem Lederfell, das im stillen Wasser lauert bis ein Mensch herantritt. Dann schnappt es zu wie ein Krokodil, ertränkt und verspeist sein Opfer.
Wir bleiben verschont und steigen steil hoch auf den Hügel – die Mühe lohnt sich, mit jedem Meter Höhe wird der Rückblick schöner.
Eigentlich ziehen hier zwischen November und April große Flotten an Walen lang auf ihrem Weg nach Süden in die Antarktis. Dieses Jahr waren sie leider schneller als wir. Doch die Enttäuschung hält nicht lange als wir unser Ziel erblicken.
Der perfekte Strand: Cole Cole
Cole Cole sind 3 km weißer Sandstrand, geschützt durch Hügel zu beiden Flanken. Sie sind übersäht von dichtem Wald, der ungebrochen in diversen Grüntönen leuchtet: Keine Luxusvillen, keine Straßen, kein Strom. Hinter dem 50 Meter breiten weißen Sandstrand ist ein Streifen aus Gräsern und Bäumen, die wertvollen Schatten spenden.
Wir eilen noch knapp vor Sonnenuntergang den Hügel hinab zu unserem Paradies. So viele Flächen zum Campen, und eine schöner als die nächste. Wir entscheiden uns für eine perfekte Grasfläche direkt am Strand mit freiem Blick aufs Meer. Einige Bäume spenden Schatten, der ebene Boden ist kuschelig mit dichtem grünen Gras bewachsen. 20 Meter weiter ist ein Bach mit Frischwasser, Es gibt eine Feuerstelle und sogar einen Baumstamm mit Sofa-Funktion. Da fügt sich unser grünes Tatonka Kiruna Tunnelzelt so nahtlos ein, dass der örtliche Huilliche es am zweiten Abend gar nicht sieht. Das Zelt ist ein Segen – denn nach Sonnenuntergang kommen zuerst die Moskitos und dann die Kälte.
Wir sammeln das trockene Treibholz und machen ein Lagerfeuer, dazu kochen wir Pasta und bewundern die Milchstraße – unfassbar das Nachtkino ohne Lichtverschmutzung.
Morgens öffnen wir die Zelttür und blicken direkt aufs Meer. Am anderen Ende des Strandes verläuft ein Fluss, man kann hineinspringen und sich bis zum Meer treiben lassen. Zu weit sollte man sich allerdings nicht wagen – es ist der wilde Pazifik mit seinen tückischen Strömungen und dazu ist er auch noch eiskalt -schon nach 20 Sekunden werden die Gliedmaßen frostig.
In den wenigen Tagen hier sehen wir mehr Tiere als in Berlin in den letzten 3 Jahren: Seelöwen spielen im Wasser, Raubvögel und Geier kreisen auf der Thermik, Möwen schnappen einander die Muscheln weg, im Wald picken die Spechte an den Bäumen, Eidechsen sonnen sich auf den Klippen und riesige Krabben krabbeln zwischen den Felsen.
Exodus aus Eden
Hinter dem Fluß liegt ein weiterer Hügel, lebendig mit dichtem Wald und dahinter noch Strand. Der örtlichen Huilliche hat uns gewarnt “Vorsicht, wenn es regnet kommt man nicht zurück!” Es beginnt wunderschön, tropfende Äste, raschelnde Blätter, das Wasser leicht rötlich gefärbt vom Holz. Doch der Weg wird immer matschiger: Ständiges Balancieren und stellenweise Kletterpartien um in diesem Hindernisparcours nicht komplett im Sumpf zu landen.
Wir sind schon ziemlich fertig, als wir endlich das lang ersehnte Schild erblicken – “Sie haben nun ⅔ des Weges geschafft”. Wir hatten eigentlich das Ziel erwartet und müssen ja heute wieder zurück zum Zeltplatz. Obwohl aufgeben eigentlich nicht so unser Ding ist, kehren wir um. Und nach kurzer Enttäuschung kommt die Erleichterung. Wir erinnern uns, dass Cole Cole ohnehin nicht zu übertreffen ist.
Nach 4 Tagen hier haben wir unsere Lebensmittel dezimiert und machen uns auf den Rückweg. Dieser Ort ist so traumhaft, dass wir uns fragen, was der Tourismus wohl mit ihm machen wird. Noch ist er so traumhaft einsam , weil er so schwer zu erreichen ist. Aber eine Zufahrtsstraße ist im Bau – dann werden mehr Touristen kommen und vermutlich auch Sonnenliegen, Restaurants und Hotels. Und die dichten Wälder auf den Hügeln werden weichen.
Auf dem Rückweg umgehen wir den Hügel, durch das seichte Wasser der Ebbe entlang der Brandung. Als wir erneut den trennenden Fluß erreichen, sehen wir vier Backpacker ankommen und zeigen ihnen wo man überqueren kann. Auch sie müssen sich die Hosen ausziehen: Es ist wie ein Ritual.
Ein paar Wochen später erreicht das Corona-Virus auch Chile. Zum Selbstschutz wird die Insel Chiloé komplett vom Festland abgeschnitten – vielleicht ist es besser so.