Sattes grünes Gras, so weit das Auge reicht. Millionen Tiere auf Wanderschaft in der größten Migration dieses Planeten – auf ihrem Weg gejagt von Löwen, Hyänen und Krokodilen. Leben und Tod in einer Dimension jenseits der Vorstellungskraft. Im Fernsehen hatte ich dies unzählige Male bestaunen können, aber nun bot sich mir unverhofft die Chance, es selbst zu erleben – und zwar zu Fuß.

Mission Marsch

“Wenn du es bis Mittwoch nach Kilimanjaro Airport schaffst, fliegen wir gemeinsam nach Kogotende, ganz im Norden Tansanias”, sagte mir Jean, Direktor von Wayo Walking Safaris, der seit zwanzig Jahren daran arbeitet, die Serengeti nachhaltig erfahrbar zu machen: als Pionier zu Fuß, im Kajak oder per Fahrrad, mit minimalem Fußabdruck. Über dieses Angebot muss ich nicht lange nachdenken…

Aus der Luft

Wie einst der berühmte Tierschützer Bernhard Grzimek sitze ich zwei Tage später in einem kleinen Flugzeug und bestaune aus knapp 1000 Metern Höhe die Weite Tansanias.

Vulkan aus der Luft in der Serengeti in Tansania.
Die Dry Plains aus der Luft.
Wir fliegen über eine endlose Prärie, Vulkane und einen riesigen Sodasee.

“Noch ist es hier trocken”, sagt Jean, “aber sobald in wenigen Wochen die kleine Regenzeit beginnt, wird hier alles unfassbar grün und dann ziehen die Tiere nach Süden: 1,2 Millionen Gnus (Wildebeests), 500,000 Zebras und gut 250,000 Thomson-Antilopen. Das kannst du dir gar nicht vorstellen!”

Die Serengeti aus der Luft. Eine grüne Landschaft nach den Regenfällen.
Unschwer lässt sich an der Farbe des Bodens der Regenfall der letzten Woche erkennen.

Guten Morgen

Wir landen und erreichen ein schönes Buschcamp: ein einfaches Zelt, freundliche Menschen und gutes Essen, dazu ein wundervoller Ausblick in die Weite. Schon beim ersten Frühstück um sechs Uhr morgens taucht unvermittelt eine Giraffe auf, dann noch eine und noch eine. Das nennt man eine “Journey”, eine Reise von Giraffen.

Nahaufnahme einer Giraffe in der Serengeti.
Verdutzt beobachte ich die Giraffen, die sich wie außerirdische Fremdkörper durch die Graslandschaft bewegen.

Endlich Entdecker

Aber ich bin nicht nur zum Spaß hier. Mein Auftrag ist es, gute Wanderrouten durch den Busch zu finden. Einfach, interessant und sicher sollen sie sein. Dazu ziehen wir gemeinsam los mit Jean, einigen Guides, einem Park Ranger und 2-4 Gästen und erkunden die Gegend. Schon immer hatte ich ein Faible für die großen Entdecker, die Seefahrer, die Bergbezwinger und Polarforscher. Nun darf ich endlich mitspielen.

Park Ranger und Guides in der Serengeti in Tansania.
Wir entdecken die Wildnis.

Wildnis

Nach kaum 1,5 Kilometern sehen wir vor uns eine riesige Büffelherde von bestimmt 150 Tieren… und entschließen uns, sie in großem Bogen zu umgehen. Sie haben uns noch nicht bemerkt – wir umschiffen sie windabwärts, da bereits unser Geruch dazu führen könnte, sie zu verjagen.

Überall sehen wir Totenköpfe, Knochen und Skelette toter Büffel, Gnus und Zebras – zum Teil noch nicht mal ganz verspeist. Die Serengeti hat eine unfassbar hohe Dichte an Raubtieren, die sich an der aktuellen Vielzahl der Beute den Magen vollschlagen. Dies wirkt mitunter recht skurril.

Aber sie müssen für die Zeit vorsorgen, in denen die Beutetiere in andere Ländereien ziehen, und sich dann 6-9 Monate mit Resten begnügen. Nicht weit vom Camp finden wir tatsächlich die sterblichen Überreste eines jungen Wildebeests – in einem Baum hängend. Das kann nur ein Leopard gewesen sein!

Skelett einer Antilope.
Die Gegend ist gepflastert von Knochen und Haut: Ein Memoryspiel aus sterblichen Überresten.
Totes Gnus in einem Baum.
Totes Gnu in einem Baum.

Elefanten im Schock

Bald finden wir einen Pfad zwischen den Bergen hindurch. Allerdings müssen wir hier besonders vorsichtig sein. Wenn wir in diesem Tunnel großen Tieren begegnen, gibt es kaum die Möglichkeit auszuweichen. Tatsächlich geschieht dies erst am Ende des Pfades, wir sehen, keine 200 Meter vor uns, eine Elefantenherde – bestimmt 20 Tiere – und dazu noch mit Kälbern. Das ist eine durchaus sensible Situation – vor allem, weil der Wind genau in ihre Richtung weht. Wir setzen uns am Ende des Pfades an einen Baum und beobachten die Herde. Jean erkennt Wasserränder auf ihrer Haut – vermutlich waren sie gerade baden und sind deshalb so vergnügt!

Elefanten in der Serengeti in Tansania.
Ein paar Minuten vergehen, bis die ersten unseren Geruch aufspüren.

Plötzlich rennen die drei ersten Elefanten panisch zum Rest der Gruppe. “Verdammt, eigentlich wollten wir sie ja nicht stören.” Schnell rauft sich die ganze Herde an einem Ort zusammen, Jungtiere in die Mitte und Erwachsene nach außen – eine Verteidigungsstellung.

Sie wissen, dass hier Menschen sind, aber nicht, wo. Nach ein paar Minuten haben sie sich wieder beruhigt und wir ziehen weiter Richtung Camp. Was für ein Schauspiel.

Zurück im Camp warten ein wunderschönes Lagerfeuer und ein paar kalte Gin Tonics – der klassische Safari-Drink. Historisch nutzte man das darin enthaltene Quinin gegen Malaria, jetzt ist es einfach Tradition und Genuss.

Lagerfeuer im Camp.
Herzlich willkommen bei WAYO.

Die Migration

Heute fahren wir zur Mara, dem berühmten Fluss zwischen der Masai Mara in Kenia und der Serengeti in Tansania. Diesen müssen die Wildebeests überqueren, um zu grünen Gräsern auf der anderen Seite zu gelangen. Hier spielen sich dramatische Szenen ab. Zum Teil werden die Tiere vom Fluss mitgerissenen, trampeln sich an Engstellen gegenseitig zu Tode oder werden von den riesigen Nilkrokodilen zerrissen, die ihnen hier strategisch auflauern. Wir sehen die Wildebeests am anderen Ufer. Hunderte bis Abertausende sammeln sich hier, um den Fluss dann gemeinsam zu überqueren.

Gnus am Ufer eines Flusses.
Gnus am Ufer.

Heute können sie sich nicht so recht entscheiden und überqueren das Wasser nicht. Wir müssen leider los. Wir wollen an diesem Tag durch die ganze Serengeti nach Süden in ein neues Camp namens Kusini und sehen eine “kleine Vorhut” der erwarteten Migration.

Gerade haben wir an einer Wasserstelle Pause gemacht – und erleben zu unserer großen Freude, wie einige Elefanten zum Trinken vorbeischauen.

Frederic beobachtet Elefanten an einer Wasserstelle.
Die Gäste sind uns unerwartet, aber durchaus willkommen.

Familientreffen

An einer engen Kurve bremst unser Guide plötzlich ab: Dort sitzt eine Löwin am Straßenrand. Während wir stehen und staunen, kommen immer mehr Löwen aus dem Gebüsch, bis plötzlich ein riesiges Rudel an uns vorbeizieht: Vier Löwinnen und zehn Junge (!), die hier bereits die Ankunft weiterer Wildebeests abwarten. Die kleinen Simbas sind recht knuddelig und unheimlich neugierig, während ihre Mütter uns mit Skepsis beobachten. Ich bin unheimlich froh, die Löwen aus dem Auto zu sehen und nicht zu Fuß. Löwinnen mit Jungen können recht aggressiv werden, und bei so einer großen Gruppe wäre es sehr schwer, die Übersicht zu behalten. Aber aus dem Auto sehe ich sie gern 🙂

Löwin in der Serengeti.
Mama beäugt uns mit Skepsis…
Zwei Löwen-Babys in der Serengeti.
…und die Jungen mit Neugier.

Kusini

Wir erreichen Sanctuary Retreats in Kusini. Auch hier sind wir auf Mission, neue Wanderrouten zu öffnen. Die Gegend ist ganz anders als der übersichtliche Norden. Hier sind sogenannte Koppies, Felsformationen aus Granit, die man wunderbar erklimmen kann. Nur muss man etwas aufpassen: Manche sind von Löwen bewohnt 🙂

Sanctuary Retreats in Kusini

Fieberbäume

Zwischen den Felsen wächst dichtes Gestrüpp aus Akazien. Die schönsten offenen Routen sind entlang der Fieberbäume. Diese sehen aus, als hätte Dalí persönlich sie aus Wachs gegossen. Historisch wurden sie daher als Auslöser von Fieber verdächtigt. Erst später lernte man, dass der eigentliche Auslöser das von Anopheles-Mücken übertragene Malaria war. Die Fieberbäume kommen ausschließlich an Wasserstellen vor, genau wie die Mücken, die dort ihre Eier legen.

Überall finden wir Skelette, die uns zweierlei sagen: Es gibt hier Büffel – und Löwen 🙂 Bei beiden ist Vorsicht geboten.

Frederic mit Ranger Ezekiel auf einer Koppi, einer Felsformation aus Granit.
Ezekiel und ich auf einer Koppi.

Luftwesen

Vor allem sehen wir viele Raubvögel, die auf der Jagd nach Nagetieren, Reptilien und Aas über uns und zwischen den Felsen gleiten: Falken, Harrier, Adler und Geier. Auf jedem zweiten Baum sitzen riesige braune Steppenadler, die im Herbst aus den Weiten Russlands ins südliche Afrika migrieren. Tansania ist für sie nur ein Zwischenstopp, um Reserven zu tanken.

Ein Savannenadler auf einem Ast.
Ein Savannenadler.

Direkt neben uns beobachtet einer der Guides einen Blassuhu, die größte der afrikanischen Eulen und ein gefürchteter Jäger – erkennbar an den pinken Augenlidern. Gemäß ihrer Federfarbe ist diese Eule noch jugendlich, aber dennoch bereits ein Riesenviech. So sehr wir Europäer Eulen für ihre Schönheit und Weisheit schätzen, so sehr gelten sie in Teilen Afrikas eher als verflucht. Sie können durch UV-Sicht Nagetiere allein an ihren Urinspuren finden, fliegen absolut lautlos und verspeisen mitunter auch andere Eulen.

Ein junger Blassuhu in einem Baum.
Ein junger Blassuhu beobachtet uns.

Happy End

Nach einer langen Wanderung von knapp sechs Stunden machen wir Pause auf einer schönen Koppi, trinken unser letztes Wasser und essen mitgebrachte Orangen.

Nur noch 20 Minuten bis zum Camp, keine Gefahren zu erkennen – ich laufe vorn. Doch plötzlich bleibe ich schlagartig stehen und hebe – bevor ich selbst wirklich verstehe, warum – reflexartig die offene Hand. Signal STOP. Keine 1,5 Meter vor meinen Füßen liegt eine dicke fette Schlange reglos im Gras. Ich springe zurück! Alle starren offenen Mundes auf den Boden. Vor uns liegt eine Puffotter! Und zwar die größte, die wir je gesehen haben. Unter allen afrikanischen Schlangen ist sie für die meisten Todesopfer verantwortlich.

Selfie von Frederic.
Ich bin entspannt und stolz auf unsere schöne Route.

Während andere Schlangen als Reaktion auf menschliche Vibrationen schnell im Gras verschwinden, nutzt die Puffotter ihre perfekte Tarnung und verharrt reglos an Ort und Stelle. Hat man das große Unglück, auf sie draufzutreten, beißt sie zu. Und tut dies schneller als alle anderen Schlangen, mehrfach, und immer mit einem hochpotenten zytotoxischen Gift. Dieses ist hochdosiert und zerstört das Gewebe: Nekrosis. Im besten Fall ist mit entstellenden Narben zu rechnen, oft aber auch mit funktionalen Störungen der Muskulatur oder – insbesondere ohne gute ärztliche Behandlung – mit Verbreitung der Wunde, Entzündung bis hin zum Tod.

Die Puffotter verkriecht sich unter einem toten Baumstumpf. Ich bin zu verdutzt, um ein Foto zu machen. Wir starren und verharren gut zehn Minuten, bevor wir weiterziehen. Watch your step!

Ngorongoro

Die Fahrt zurück nach Arusha führt uns durch eine ganze besondere Gegend, den Ngorongoro- Krater, einen vulkanischen Krater, der in sich selbst versackt ist. Die Straße führt tatsächlich über den Rand des Kraters und zeigt surreale Einblicke in einen Kessel des Lebens. Wolken bleiben am Kraterrand hängen, so dass hier ganzjährig genug Regen fällt, um ein reichhaltiges Biotop zu versorgen. Wow.

So viel ist passiert in diesen acht Tagen! Doch tatsächlich war dies erst der Anfang. Wir fahren nach Arusha, Tansanias Safari-Hauptstadt. Sechs Monate soll ich hier verbringen mit dem Ausbau von nachhaltigem Tourismus. Ich bin gespannt, was für Abenteuer mich noch erwarten in diesem Wunderland.